Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Hörgerät. keine Begrenzung des Sachleistungsanspruchs durch Festbetrag oder Vertragspreis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch von Versicherten auf Versorgung mit Hörhilfen gemäß § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 ist ein Sachleistungsanspruch, also auf tatsächliche Verschaffung von Hörgeräten gerichtet.

2. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten auf die erforderliche Hörgeräteversorgung wird weder durch die Festbetragsfestsetzung noch durch eine Preisvereinbarung zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer begrenzt.

3. Der Festbetrag bzw der vereinbarte Vertragspreis bestimmt lediglich den Preis, den die Krankenkasse dem Leistungserbringer (hier dem Akustiker) für jede zum Behinderungsausgleich erforderliche Versorgung der Versicherten zu zahlen hat.

4. Ein Sachleistungsanspruch kann nicht dem Grunde nach zuerkannt werden, um dann in der Höhe auf einen Geldbetrag begrenzt zu werden (entgegen BSG vom 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R = BSGE 90, 220 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 RdNr 19; BSG vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R = BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19 RdNr 19 und 52 und BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2 RdNr 29). Er ist vielmehr durch tatsächliche Verschaffung der Sachleistung, hier also durch Verschaffung eines konkreten Hörgerätes zu erfüllen.

5. Die Versorgung hat daher mit den Geräten zu erfolgen, die unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts den Ausgleich der vorliegenden Hörbeeinträchtigung bestmöglich im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht hörbehinderten Menschen herstellen können.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2013 verurteilt, den Kläger mit Hörgeräten der Firma OTICON Chili SP 9 zu versorgen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Versorgung mit Hörgeräten.

Der 1969 geborene Kläger ist von Beruf Techniker/Informationselektroniker und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an einer beidseitigen Taubheit mit audiologisch lediglich geringer Hörrestigkeit.

Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 20.08.2012 und einer ärztlichen Bescheinigung des HNO-Arztes Dr. R… vom 18.02.2013 sowie eines Kostenvoranschlages des Hörzentrums L… vom 05.01.2013 über die Versorgung mit einem Paar Hörgeräte “Chili SP 9„ der Firma OTICON in Höhe von 5.346 Euro beantragte der Kläger am 18.02.2013 bei der Beklagten die Versorgung (“volle Kostenübernahme„) mit Hörgeräten.

Ausweislich eines Anschreibens des Hörzentrums L… vom 05.01.2013 an die Beklagte waren beim Kläger seit dem 22.08.2012 vier Hörgeräte im “HdO-Powerbereich„ getestet worden. Das Schreiben enthält die folgende Auflistung:

 Sumo E

 als Festbetragsgerät

 Chili 5 SP

 als Mittelklassetechnik

 Naida S IX UP

 als Highendtechnik

 Chili 9 SP

 als Highendtechnik

In dem Schreiben wird ausgeführt, zwar seien im Freiburger Satztest mit allen Geräten sehr gute Werte erreicht worden, auf Grund der hochgradigen Hörbehinderung des Klägers sei das Verstehen im privaten und beruflichen Alltag im Störschall und bei der Wahrnehmung von Umweltsignalen jedoch sehr geräteabhängig. Bei dem hierfür durchgeführten Oldenburger Satztest habe das vom Kläger ausgewählte Gerät Chili SP 9 den besten Wert erzielt (70 % Sprachverstehen im Freiburger Satztest, der Oldenburger Satztest ergab den besten Wert von -2,3). Es werde im Interesse des Klägers um eine erhöhte Kostenunterstützung gebeten.

Mit Bescheid vom 01.03.2013 sagte die Beklagte zu, sich an den Kosten in Höhe des Festbetrages von 1.296,07 Euro nach den neuen “Richtlinien WHO 4„ zu beteiligen. Eine vollständige Kostenübernahme könne nicht erfolgen, da im Fall des Klägers eine medizinische Notwendigkeit für eine “Aussetzung der Festbeträge„ nicht vorliege. Der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes habe im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) einen neuen Festbetrag für Versicherte mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit festgesetzt. Dieser neue Festbetrag berücksichtige die Zielsetzung des BSG-Urteils vom 17.12.2009, wonach es grundsätzlich ausreiche, einen Versicherten mit solchen Hörhilfen zu versorgen, die Störgeräusche und Rückkopplungen vermeiden und das Hören und Verstehen ermöglichten. Sofern der Kläger die Versorgung mit einem Gerät Chili SP 9 wünsche, werde ein Zuschuss in Höhe des Festbetrages bewilligt, die Mehrkosten seien jedoch vom Kläger selbst zu tragen.

Hiergegen hat der Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG Widerspruch eingelegt und vorgetragen, er sei auf die Versorgung mit den höherpreisigen Geräten angewiesen, da nur diese ihm ein ausreichendes Sprachverstehen in allen Lebenslagen ermöglichten. Andere Geräte stellten hingegen keine ausreichende Versorgung dar. Bei der Entscheidung der Beklagten handele es sich um eine T...

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