Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Hörgerät. keine Begrenzung des Sachleistungsanspruchs durch Festbetrag oder Vertragspreis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch von Versicherten auf Versorgung mit Hörhilfen gemäß § 33 Abs 1 S 1 SGB 5 ist ein Sachleistungsanspruch, also auf tatsächliche Verschaffung von Hörgeräten gerichtet.

2. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten auf die erforderliche Hörgeräteversorgung wird weder durch die Festbetragsfestsetzung noch durch eine Preisvereinbarung zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer begrenzt.

3. Der Festbetrag bzw der vereinbarte Vertragspreis bestimmt vielmehr lediglich den Preis, den die Krankenkasse dem Leistungserbringer (hier dem Akustiker) für jede erforderliche Versorgung der Versicherten zu zahlen hat.

4. Ein Sachleistungsanspruch kann nicht dem Grunde nach zuerkannt werden, um dann in der Höhe auf einen Geldbetrag begrenzt zu werden (entgegen BSG vom 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R = BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19 RdNr 52 und BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2 RdNr 29). Er ist durch tatsächliche Verschaffung der Sachleistung zu erfüllen.

5. Die Versorgung hat daher mit den Geräten zu erfolgen, die unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts den Ausgleich der vorliegenden Hörbeeinträchtigung bestmöglich im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht (hör-)behinderten Menschen herstellen können.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2014 verurteilt, die Klägerin mit Hörgeräten der Firma Starkey “3 Series i30 RIC„ zu versorgen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit Hörgeräten.

Die 1956 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist als Buchhalterin tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist sie u.a. darauf angewiesen, bei der telefonischen Übermittlung von Daten an das Steuerbüro Zahlen richtig zu verstehen. Die Klägerin leidet unter einer beidseitigen mediocochleären Schwerhörigkeit (Hörverlust durch Schallempfindungsstörung).

Die Beklagte erhielt für die Klägerin eine ärztliche Verordnung des HNO-Arztes Dr. M… vom MVZ Westpfalz in L…vom 20.08.2013 sowie einen Kostenvoranschlag des Hörzentrums R… in P… vom 02.12.2013 über die Versorgung mit einem Paar Hörgeräte “3 Series i30 RIC„ der Firma Starkey in Höhe von 2.988 Euro. Abzüglich eines Kassenanteiles in Höhe von 1.483,47 Euro und einer Zuzahlung von 20 Euro wies der Kostenvoranschlag einen Eigenanteil der Klägerin in Höhe von 1.524,53 Euro aus. Wie diese Unterlagen zur Beklagten gelangten, ergibt sich aus dem Verwaltungsvorgang nicht, jedoch betrachtete die Beklagte den Eingang als Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für den Eigenanteil von höherwertigen Hörgeräten.

Vorangegangen war eine Testphase, bei der der Klägerin vom Hörstudio drei verschiedene Hörsysteme angepasst worden waren. Das letztlich von der Klägerin ausgewählte Gerät “3 Series i30 RIC„ der Firma Starkey erreichte dabei Werte bei 65 dB von 95% und im Störschall von 75%. Daneben wurde noch das Gerät Unitron Moxi 12 xS BTE mit 95% und 75% sowie das Gerät Phonak Audeo Q30-312 mit 90% und 80% getestet. Keines dieser getesteten Geräte wollte das Hörstudio zuzahlungsfrei an die Klägerin abgeben.

Mit ablehnendem Bescheid vom 23.01.2014 wies die Beklagte “die Rechnung„ in Höhe von 1.524,53 Euro zurück. Zur Begründung dieser Entscheidung führte sie aus, Hörgeräte könnten nur nach dem gesetzlichen Festbetrag übernommen werden. Dieser sei bereits vom Leistungserbringer in Abzug gebracht worden. Der Eigenanteil sei von der Klägerin zu tragen und könne nicht erstattet werden.

Mit Schreiben vom 02.02.2014 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme für ihre Hörgeräte ein. Sie sei auf die ausgewählten Hörgeräte angewiesen. Im Störgeräusch und in größeren Gruppen sei für sie mit den anderen Geräten kein ausreichendes Sprachverständnis möglich. Die Klägerin verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach Versicherte sich nicht mit einer Teilkostenerstattung zufrieden geben müssten, wenn das Gerät zum unmittelbaren Behinderungsausgleich notwendig sei.

Mit Schreiben vom 21.02.2014 teilte die Beklagte mit, dem Leistungserbringer sei bereits am 27.08.2013 die Kostenübernahme nach dem gesetzlichen Festpreis erteilt worden. Ein höherer Zuschuss könne leider nicht erfolgen.

Die Beklagte holte gleichwohl ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) ein. In dem am 16.04.2014 erstellten Gutachten gab der Arzt im MDK Dr. J… an, es gebe neue Richtlinien und Festbeträge. Die getesteten Geräte erfüllten insofern die Mindestkriterien, der Akustiker habe aber nicht angegeben, welches der Geräte er zum Festbetrag abgegeben hätte. Ein medizinisc...

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