Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei (erneuter) Einreise zur Arbeitsuche. Unionsbürger. kein Leistungsanspruch aus Europäischen Fürsorgeabkommen (EuFürsAbk) oder nach dem SGB 12. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 gilt auch für EU-Bürger.

2. Der Leistungsausschluss für arbeitsuchende Ausländer in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist mit Verfassungsrecht und dem Recht der Europäischen Union vereinbar.

3. Die Frage, wer beitragsunabhängige Sozialleistungen beanspruchen darf, gehört nicht zu den von den Mitgliedstaaten auf die Europäische Union übertragenen Kompetenzen. Diese fehlende Kompetenzübertragung kann nicht durch einen Rekurs auf das Diskriminierungsverbot des Art 12 EG ersetzt werden.

4. Aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen von 1953 (EuFürsAbk) folgt kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2.

5. Ausländer, die aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 SGB 2 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 haben, haben auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12.

 

Orientierungssatz

1. Der Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs 1 Abs 1 FreizügG/EU 2004 kommt lediglich deklaratorische Bedeutung zu und stellt keinen eigenen Aufenthaltstitel dar.

2. Ein Aufenthaltsrecht ist auch nicht unmittelbar aus Art 18 Abs 1 EG abzuleiten.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 11. Juni 2007 bis zum 22. Juli 2007 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Zehntel zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 11. Juni 2007 bis zum 31. März 2008.

Der Kläger ist am ... geboren und italienischer Staatsangehöriger. Nach dem Besuch von Grund- und Hauptschule im italienischen ... von 1976 bis 1985 hielt er sich von Oktober 1990 bis Juni 2003 erstmals in der Bundesrepublik Deutschland auf und war in dieser Zeit teilweise als Arbeitnehmer versicherungspflichtig beschäftigt, teilweise selbständig tätig und teilweise arbeitslos. Anschließend hielt sich der Kläger wieder in Italien auf.

Der Kläger reiste am 23. April 2007 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 11. Juni 2007 beantragte er bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Am 28. Juni 2007 sprach er persönlich bei der Beklagten vor und teilte mit, dass er die letzten dreieinhalb Jahre in Italien gelebt und gearbeitet habe und nun nach Deutschland gezogen sei, um eine Arbeit aufzunehmen bzw. zu suchen.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab. Die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung seien nicht erfüllt, da der Kläger allein zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sei.

Am 10. Juli 2007 stellte die Stadt ... dem Kläger eine Bescheinigung aus, laut der er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt sei.

Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Kläger am 11. Juli 2007 Widerspruch ein. Er trug vor, dass sich sein Aufenthaltsrecht aus dem Freizügigkeitsgesetz ergebe.

Mit Bescheid vom 12. Juli 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine Leistungsbewilligung lägen nicht vor, da sich das Aufenthaltsrecht des Klägers allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Aus der Freizügigkeitsbescheinigung ergebe sich nur ein Recht, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten. Es leite sich daraus aber kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab.

Mit der am 23. Juli 2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger, der aufgrund einer Vermittlung seitens der Beklagten am 1. April 2008 eine unselbständige Tätigkeit aufgenommen hat, sein Begehren weiter. Er ist der Ansicht, dass er als Bürger der Europäischen Union keine Arbeitserlaubnis benötige. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Freizügigkeitsgesetz/EU sowie sonstige Regelungen mit aufenthaltsrechtlichem Inhalt gingen den Leistungsbestimmungen des SGB II vor.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 11. Juni 2007 bis zum 31. März 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest und verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Gerichts sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug gen...

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