Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels Acomplia® als Abmagerungsmittel. Zulässigkeit der Verordnung bis zur Veröffentlichung des Beschlusses des G-BA vom 17.10.2006. Abgrenzung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Regress wegen eines sonstigen Schadens. Adipositas. Krankheitswert

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verordnungsfähigkeit von Acomplia® als Abmagerungsmittel richtet sich nach § 34 Abs 1 S 7-9 SGB 5.

2. Das Abmagerungsmittel Acomplia® war zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Veröffentlichung des Beschlusses des GBA verordnungsfähig, da dieser konstitutive Wirkung hat.

 

Orientierungssatz

1. Bei Verstößen gegen die Arzneimittelrichtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb der nach dem Arzneimittelgesetz (juris: AMG 1976) erteilten Zulassung handelt es sich nicht um einen Regress wegen eines sonstigen Schadens, sondern um einen Arzneimittelregress im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung (vgl BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 29).

2. Bei der Adipositas ist bis heute medizinisch umstritten, ob ihr selbst ein Krankheitswert zukommt (Anschluss an BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R = BSGE 90, 289 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.12.2012; Aktenzeichen B 6 KA 50/11 R)

 

Tenor

1. Die Bescheide vom 23.01.2009 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen von der Beklagten festgesetzte Regresse wegen der Verordnung von Acomplia® im III. und IV. Quartal 2006.

Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin/Kardiologie zur vertragsärztlichen Versorgung in P. zugelassen.

Die Beigeladene zu 2.) beantragte am 27.09.2007 die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 21 der Prüfvereinbarung wegen der Verordnung von Acomplia® im III. und IV. Quartal 2006. Die Verordnungen im III. Quartal 2006 datierten vom 12.09.2006, 15.09.2006 und 20.09.2006, die im IV. Quartal 2006 vom 10.11.2006, 13.11.2006, 14.11.2006 und 13.12.2006. Bei Acomplia® handele es sich um ein Arzneimittel mit dem Inhaltsstoff Rimonabant zur Behandlung von Adipositas. Seit dem Erteilen der Zulassung unterliege Acomplia® Ziffer 20.1.j der Arzneimittel-Richtlinien (AMR). Danach seien Abmagerungsmittel und Appetitzügler nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig. Darüber hinaus handele es sich um ein Lifestyle-Arzneimittel im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 7 Fünftes Buch/Sozialgesetzbuch (SGB V).

Auf die Anhörung der Beklagten vom 18.10.2007 teilte der Kläger mit Schreiben vom 14.11.2007 mit, dass Acomplia® zur Behandlung von Adipositas zugelassen sei, insbesondere bei Patienten mit einem BMI gleich bzw. größer als 30 kg/m2, die darüber hinaus einen oder mehrere Risikofaktoren wie Diabetes mellitus Typ II oder Dyslipdämie aufweisen. Die Verordnungen seien ausschließlich bei diesen Indikationen erfolgt, so dass eine medizinische Notwendigkeit gegeben sei. Der Vorwurf der Beigeladenen sei nicht gerechtfertigt. Mit Erteilen der Zulassung für ein neues Medikament sei nicht immer klar, ob die Bezahlung durch die Gesetzliche Krankenversicherung erfolge. Deshalb sei eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) notwendig. Bis zu dieser Entscheidung sei jedoch eine Leistungspflicht gegeben. Der Beschluss des GBA vom 17.10.2006 zu Acomplia® sei erst am 12.01.2007 veröffentlicht worden, somit ab 13.01.2007 gültig. Bis dahin sei Acomplia verordnungsfähig und durch die Krankenkasse zu bezahlen gewesen.

Mit Bescheid vom 23.01.2009 setzte die Beklagte einen Regress in Höhe von 417,56 € wegen der Verordnung von Acomplia® im III. Quartal 2006 fest. Rechtsgrundlage seien § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 44 Ersatzkassenvertrag-Ärzte (EKV-Ä) und § 106 SGB V i. V. m. § 21 Prüfvereinbarung. Soweit der Antrag sich auf Nr. 20.1.j AMR stütze, sei er abzulehnen. Heranzuziehen sei Nr. 18.2 AMR i. V. m. § 34 Abs. 1 SGB V, da es nicht um eine Verordnungseinschränkung sondern um die Zulassung dem Grunde nach gehe. Danach seien Arzneimittel ausgeschlossen, die zur Abmagerung oder Zügelung des Appetits oder zur Regulierung des Körpergewichts eingesetzt werden. Es handele sich nach § 21 der Prüfvereinbarung um einen sonstigen Schaden. Dieser Bescheid ist dem Kläger am 29.01.2009 zugestellt worden.

Mit weiterem Bescheid vom 23.01.2009 setzte die Beklagte aus denselben Gründen wegen der Verordnung von Acomplia® im IV. Quartal 2006 einen Regress in Höhe von 1.199,30 € fest. Dieser Bescheid ist dem Kläger ebenfalls am 29.01.2009 zugestellt worden.

Mit seinen am 26.02.2009 zu den Aktenzeichen S 1 KA 28/09 und S 1 KA 29/09 erhobenen Klagen wendet sich der Kläger gegen diese Bescheide. Die Bescheide seien rechtswidrig. Am 19.06.2006 sei Acomplia® zur Behandlung von Adipositas für Versicherte zugelassen worden, die darüber hinaus einen oder mehrere Risikof...

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