Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Vergütungsanspruch eines Apothekers. Retaxierung und Aufrechnung bei Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB 5. Vorrang von Rabattarzneimitteln gegenüber Importarzneimitteln

 

Orientierungssatz

1. Das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen betrifft nicht nur die Korrektur von sog Abrechnungsfehlern. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind vielmehr grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es zB an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt oder ein Medikament unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages abgegeben worden ist (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 3/10 R = BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr 6). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB 5 und die sie konkretisierenden Bestimmungen des Rahmenvertrags. Ein Ausschluss der Aufrechnungsbefugnis ergibt sich hier weder aus dem Gesetz noch aus den Rahmenverträgen.

2. Die Abgabe eines Arzneimittels, für das eine Vereinbarung nach § 130a Abs 8 SGB 5 besteht, hat Vorrang vor der Abgabe nach § 129 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 5.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 963,24 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 963,24 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2012 nach Abgabe des Arzneimittels "REMICADE(r) 100 mg TAM 3 St" der K. GmbH durch ihn am 08.03.2012 und Retaxation dieses Betrags am 27.09.2012 durch die Beklagte hat.

Am 08.03.2012 gab der Kläger aufgrund vertragsärztlicher Verordnung des Internisten und Rheumatologen W.R. eine Packung des Importarzneimittels "REMICADE 100 mg Trockenampullen 3 St" der K. GmbH zu Lasten der Beklagten ab. In der ärztlichen Verordnung war das sog. "aut idem" Feld nicht angekreuzt. Zum Zeitpunkt der Abgabe benutzte der Kläger die Apotheken-Software "a.". Dem Kläger wurde im Rahmen der Abfrage des Arzneimittels am 08.03.2012 durch die benutzte Apotheken-Software erkennbar angezeigt, dass das Arzneimittel die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln nach § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einhält, d.h. der Preis des abgegebenen Arzneimittels mindestens 15 % bzw. 15,00 € niedriger ist als der Preis des Bezugsarzneimittels. Gleichzeitig wurde dem Kläger angezeigt, dass für das rabattbegünstigte Originalpräparat "Remicade(r) der M. GmbH" ein Rabattvertrag bestand. Zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels "Remicade(r)" am 08.03.2012 konnte der Kläger in der von ihm benutzten Apothekensoftware jedoch nicht erkennen, ob das rabattbegünstigte Originalpräparat "Remicade(r) der M.GmbH" günstiger als das von ihm abgegebene Importprodukt war.

Mit Schriftsatz vom 01.08.2012 beanstandete die S. IT-Dienstleistungs GmbH, die im Namen und im Auftrag der Beklagten Rezept- und Abrechnungsprüfungen vornimmt, die Nichtberücksichtigung des Rabattvertrags wegen der Abgabe von Remicade(r) der K. GmbH am 08.03.2012. Die abgerechnete Verordnung werde beanstandet und eine Kürzung/Retaxation des Gesamtabrechnungsbetrags für das Arzneimittel in Höhe von 2.752,12 € um 35 % in Höhe von 963,24 € vorgenommen, d.h. es werde eine Aufrechnung mit dem Vergütungsanspruch des Klägers erfolgen. Die vom Kläger hiergegen mit Schriftsätzen vom 30.08.2012 und 13.11.2012 erhobenen Einsprüche lehnte die S. IT-Dienstleistungs GmbH mit Schriftsätzen vom 17.10.2012 und 12.12.2012 ab. Die Retaxation des Betrags in Höhe von 963,24 € war am 27.09.2012 erfolgt.

Am 22.02.2013 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (Schriftsatz vom 21.02.2013) und zur Begründung mit Schriftsätzen vom 21.02.2013, 01.08.2013, 15.10.2013, 13.01.2014, 03.03.2014, 26.05.2014, 22.10.2014 und 12.02.2015 insbesondere Folgendes vorgetragen:

Er habe einen gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Beklagte und somit einen Anspruch auf Zahlung von 2.752,12 € (Preis für eine Packung Remicade(r) der K. GmbH nach Abzug des Hersteller-Apothekenrabatts) gemäß § 129 SGB V i. V. m. dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V i. d. F. vom 01.02.2011 und dem Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bay) vom 14.06.2007. Eine Verpflichtung zur bevorzugten Abgabe des rabattierten Originalarzneimittels nach § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V und § 4 Abs. 2 des Rahmenvertrages habe nicht bestanden. Denn das abgegebene K.-Präparat sei wirtschaftlich gewesen. Grundsätzlich seien die Apotheken nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenvertrags zur Abgabe von preisgünstigen importierten Arzneimitteln an Versicherte verpflichtet. Die Auslegung des § 129 Abs. 1 Satz 7 SGB V (als gesetzliche Basis des § 5 Abs. 1 Satz 3 des Rahmenvertrags) nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie nach d...

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