Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Klage wegen fehlendem Vorverfahren. Rechtswirksamkeit der Rücknahme eines Widerspruchs durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt

 

Orientierungssatz

1. Für die Wirksamkeit der Rücknahme eines Widerspruchs im Außenverhältnis kommt es allein auf die auf der Vollmacht beruhende formelle Vertretungsmacht des Vertreters an. Von dieser ist auszugehen, solange eine Vollmacht nicht widerrufen ist.

2. Ob der bevollmächtigter Rechtsanwalt eine Widerspruchsrücknahme tatsächlich im Auftrag des Klägers erklärt hat oder nicht, betrifft lediglich das Auftragsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Bevollmächtigten, ändert aber nichts an der formell aufgrund der Vollmacht im Außenverhältnis bestehenden Vertretungsmacht gegenüber der Beklagten und betrifft daher auch nicht die Rechtswirksamkeit der Rücknahmeerklärung.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 20.05.2019; Aktenzeichen B 8 SO 28/19 S)

 

Tenor

I. Die Klage wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Hilfe zur Pflege.

I.

Der am 11.02.1947 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80 mit Merkzeichen „G“ und bezieht seit Jahren von der Beklagten laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Zusätzlich erhielt der Kläger ab dem 02.09.2016 Hilfe zur Pflege in Form der Kostenübernahme für ambulante Pflege durch einen Pflegedienst bei Pflegestufe 0.

Mit Schreiben vom 04.01.2017 forderte die Beklagte den Kläger auf, bei seiner Pflegekasse einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung zu stellen und beantragte gem. § 95 SGB XII parallel dazu selbst entsprechende Leistungen bei der Pflegekasse des Klägers.

Am 24.01.2017 beantragte der Kläger beim Beklagten die Fortführung der bisherigen Hilfe zur Pflege.

Bei der Beklagten ging am 11.07.2017 die Mitteilung der Pflegekasse ein, dass nach derzeitigem Sachstand keine Pflegebedürftigkeit vorliege.

Daraufhin erließ die Beklagte den Bescheid vom 12.07.2017 mit dem die Beklagte die Hilfe zur Pflege ab dem 01.08.2017 einstellte.

Hiergegen erhob am 31.07.2017 Rechtsanwalt Adler, A-Stadt, unter Vorlage einer vom Kläger am 27.07.2017 unterzeichneten Vollmacht für den Kläger Widerspruch.

Daraufhin teilte die Beklagte dem Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 03.08.2017 mit, dass sie inhaltlich an die Entscheidung der Pflegekasse gebunden sei, gegen die der Kläger ebenfalls vorgegangen sei, und schlug vor, die Entscheidung über den Widerspruch zurückzustellen, bis die Entscheidung über den Widerspruch gegen den Pflegekassenbescheid bekannt sei.

Mit Schreiben vom 15.01.2018 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Widerspruch vom 31.07.2017 gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.07.2017 zurückgenommen werde. Zur Begründung verwies der Bevollmächtigte darauf, dass die Pflegekasse den Widerspruch gegen ihren Bescheid zurückgewiesen habe und keine Rechtsmittel hiergegen eingelegt worden seien.

In der Folge bot die Beklagte dem Kläger wiederholt an, hauswirtschaftliche Versorgung etc. und die Erbringung bisheriger Hilfe zur Pflege aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen zu prüfen, wofür allerdings ein Antrag des Klägers notwendig sei. In diesem Zusammenhang ergingen auch Schreiben vom 17.01.2018 und vom 19.02.2018, in dem die Beklagte um Informationen und Mitwirkung durch den Kläger bat.

II.

Anlässlich dieses Beklagtenschreibens vom 19.02.2018 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 07.06.2018, eingegangen am 24.07.2018, Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben.

Er wandte sich zunächst gegen die Schreiben vom 17.01.2018 und vom 19.02.2018 sowie gegen den Bescheid vom 12.07.2017.

Demgegenüber hat die Beklagte darauf verwiesen, dass mit Bescheid vom 31.08.2018 rückwirkend ab dem 01.03.2018 zumindest die Kosten der hauswirtschaftlichen Versorgung des Klägers durch einen ambulanten Pflegedienst vom Beklagten übernommen würden. Der Bescheid vom 12.07.2017 hingegen sei infolge der Rücknahme des Widerspruchs bestandskräftig.

Auf entsprechendes Ersuchen des Gerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.10.2018 klargestellt, dass sich seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.07.2017 richte. Entgegen der Darstellung durch die Beklagte habe Rechtsanwalt Adler nicht mit Einverständnis des Klägers und in dessen Auftrag den Widerspruch vom 31.07.2017 zurückgenommen. Er habe am 16.10.2018 deswegen eine Beschwerde beim Amtsgericht A-Stadt wegen der falschen Behauptungen des Rechtsanwaltes Adler eingelegt. Der Widerspruch sei nicht in seinem Auftrag zurückgenommen worden. Auch habe der Anwalt ihm erst am 11.10.2018 auf Nachfrage die Rücknahme des Widerspruchs zur Kenntnis geschickt.

Der Kläger beantragt daher (sinngemäß),

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.2017 zur weiteren Kostenübernahme ambulanter Pf...

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