Entscheidungsstichwort (Thema)

Angelegenheiten nach dem SGB II

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.03.2021; Aktenzeichen B 4 AS 59/20 R)

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2010 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Einstiegsgeldes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Einstiegsgeld anlässlich ihrer am 1. März 2010 aufgenommenen und auf ein Jahr befristeten Beschäftigung.

Am 24. Februar 2010 beantragte sie in Hinblick auf die o.a. Tätigkeit beim D. D. K. U.-R. e.V., ihr ein Einstiegsgeld zu gewähren. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. März 2010 unter Hinweis auf die fehlende Förderfähigkeit ab. Den dagegen von der Klägerin mit anwaltlichen Schriftsatz vom 18. April und 1. August 2010 eingelegten und begründeten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2010 unter Darlegung der aus seiner Sicht maßgebenden Sach- und Rechtslage als unbegründet zurück.

Am 4. Oktober 2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Neubrandenburg Klage erhoben. Sie macht geltend, dass das betreffende Arbeitsverhältnis wegen seiner Entgelthöhe eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung beinhalte. Ferner lägen alle Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses vor, nämlich ein Tätigwerden nach Weisung und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die hier gegebene Tätigkeit im Rahmen einer geförderten Arbeitsgelegenheit sei unschädlich, da die nach § 16d des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) geschaffenen Arbeitsgelegenheiten vollwertige Arbeitsverhältnisse darstellten. Das Einstiegsgeld solle einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit schaffen, wobei nicht die Hilfebedürftigkeit entfallen müsse, auch wenn dies eine weitere Voraussetzung für die Gewährung eines Einstiegsgeldes sein könne. Vorliegend sei ihr Entgelt derart gering gewesen, dass sie mit diesem ihre Hilfebedürftigkeit generell nicht habe beseitigen können. Gerade deswegen sei die Anreizfunktion, dennoch die Tätigkeit aufzunehmen, außerordentlich bedeutsam.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 24. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2010 zu verpflichten, ihren Antrag auf Gewährung von Fahrtkosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt dem Begehren der Klägerin entgegen und verweist hierzu auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und dem Inhalt der Akte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogene Leistungsakte des Beklagten (ein Hefter) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Insoweit ist die Klägerin beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da nach der damals geltenden Rechtslage der angefochtene (Widerspruchs-)bescheid jedenfalls von seiner Begründung her rechtsfehlerhaft ergangen ist.

Gemäß § 16b Abs. 1 Satz 1 SGB II kann zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, bei Aufnahme u.a. einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Aus dem in der vorzitierten Norm enthalten Wort "kann" ergibt sich, dass auf diese Leistung kein Rechtsanspruch besteht; die Gewährung ist vielmehr in das Ermessen des zuständigen Leistungsträgers gestellt. Jedoch bedeutet dies nicht, dass der Beklagte in seiner Entscheidung völlig frei wäre, er bleibt vielmehr an die allgemeinen Erfordernisse des Rechtsstaates gebunden, vor allem an den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz, dass von jeder Ermächtigung zum Verwaltungshandeln nur im Sinne des Gesetzes und somit nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden darf. Während die Ermessensentscheidung damit nur eingeschränkt vom Gericht überprüfbar ist, unterliegen die Tatbestandsvoraussetzungen der vollen Überprüfung durch das Gericht. § 39 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch (SGB I) sieht vor, dass die Leistungsträger ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten haben. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Das Gericht darf jedoch nicht das behördlich korrekt ausgeübte Ermessen durch seine eigenen Ermessenserwägungen ersetzen (vgl. Niesel, SGB III, 4. Aufl. 2007, § 7, Rn 14).

Nach diesen Maßgaben liegt hier ein Ermessensfehlgebrauch vor, da der Beklagte das ihm zustehende Ermessen trotz Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zu Unrecht nicht ausgeübt hat. Entgegen seiner Ansicht lag gemäß der damals noch geltenden Rechtslage ein förder...

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