Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung. Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens. Vorwerfbarkeit eines pflichtwidrigen Verhaltens. Ermessensausübung. Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Nachweis gemeinschaftlicher Haushaltsführung. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. § 1a Abs 7 S 1 AsylbLG ist in verfassungskonformer Auslegung teleologisch zu reduzieren. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist zu verlangen, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist (vgl SG Landshut vom 23.1.2020 - S 11 AY 79/19 ER und vom 28.1.2020 - S 11 AY 3/20 ER).

2. Die Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung setzt dabei voraus, dass der Leistungsberechtigte zuvor konkret angehört wurde und dass dargestellt wird, welches Verhalten von ihm verlangt wird.

3. Unter Zugrundelegung der Entscheidung des BVerfG vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 = NJW 2019, 3703 ist § 14 Abs 1 und 2 AsylbLG im Wege verfassungskonformer Auslegung teleologisch zu reduzieren in dem Sinne, dass die Behörde bei pflichtgemäßer Ermessensausübung in außergewöhnlichen Härtefällen von der Sanktionierung abzusehen hat sowie die Leistungseinschränkung aufzuheben hat, sobald die sanktionierte Pflichtverletzung entfallen ist.

4. Eine Vereinbarkeit mit dem Verfassungsrecht kann allenfalls bei einer verfassungskonformen Auslegung des § 3a Abs 1 Nr 2 Buchst b AsylbLG bzw des § 3a Abs 2 Nr 2 Buchst b AsylbLG dahingehend angenommen werden, dass als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen ist, ob tatsächlich eine gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Sammelunterkunft untergebrachten Leistungsberechtigten erfolgt.

 

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28.12.2019 gegen den Bescheid vom 26.11.2019 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 Grundleistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Eilverfahren gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 und begehrt Grundleistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG.

Der 1956 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben jordanischer Staatsangehöriger und am 23.07.2019 erstmalig in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er ist alleinstehend und derzeit in der Aufnahmeeinrichtung C-Stadt in A-Stadt untergebracht.

Der Asylantrag des Antragstellers vom 12.08.2019 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration (BAMF) vom 09.09.2019 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in die Niederlande angeordnet. Am 22.08.2019 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO (VO (EU) Nr. 604/2013) an die Niederlande gerichtet worden. Die niederländischen Behörden hätten ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages mit Schreiben vom 22.08.2019 erklärt.

Mit Schreiben vom 07.11.2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zum beabsichtigten Erlass einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG an. Der Antragsteller erwiderte hierauf mit Schreiben vom 19.11.2019, er habe aufgrund seines hohen Alters spezielle Hygienebedarfe, welche nicht im Hygienepaket enthalten seien. Wegen psychischer Belastung sei er an den Psychiater Dr. D. in C-Stadt gebunden. Hierfür benötige er ein Ticket. Außerdem habe er weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen, weshalb er spezielle Nahrung kaufen müsse, die er in der Unterkunft nicht erhalte.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 07.11.2019 stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.11.2019 eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 fest. Dem Antragsteller werde für diesen Zeitraum nach § 1a Abs. 1 AsylbLG eine Unterkunft im Landkreis A-Stadt einschließlich Strom- und Heizungsversorgung, sowie notwendiger Hausrat zur Verfügung gestellt. Außerdem erhalte der Antragsteller Sachleistungen für Nahrungsmittel, Gesundheits- und Körperpflege. Nach § 1a Abs. 7 AsylbLG ende der Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG, wenn das BAMF den Asylantrag als unzulässig abgelehnt habe und eine Abschiebung angeordnet worden sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG). Dies treffe auf den Antragsteller zu.

Mit Bescheid des BAMF vom 09.09.2019 sei der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung in die Niederlande angeordnet worden. Ein Fall von § 1a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG liege nicht vor.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Telefax vom 28.12.2019 Widerspruch ein mit im Eilantrag wiederholter Begründun...

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