Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staats für das Asylverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 7 AsylbLG ist im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist

2. Liegt das pflichtwidrige Verhalten im Unterlassen der freiwilligen Ausreise, muss dem Leistungsberechtigten dieses Verhalten vorwerfbar sein. Dies setzt voraus, dass er Kenntnis von seiner Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise hat.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers hin wird der Beschlusses des Sozialgerichts München vom 19. Oktober 2021 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit von 03.09.2021 bis 31.01.2022 vorläufig Leistungen gemäß § 3 AsylbLG ohne Anspruchseinschränkung in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat vier Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

III. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht ab Beschwerdeeinlegung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B, B Straße, B beigeordnet.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit ab 03.09.2021; insbesondere wendet er sich gegen eine Anspruchseinschränkung.

Der 2003 geborene Antragsteller, nach seinen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, reiste im April 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Er ist in einer Aufnahmeeinrichtung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners untergebracht. Dort beantragte er die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG. Ab 30.04.2021 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller Grundleistungen in Form von Sachleistungen sowie Geldleistungen in Höhe von 96,24 € ohne entsprechende schriftliche Leistungsbewilligung durch monatliche Auszahlung.

Am 17.05.2021 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) an Rumänien gerichtet; die rumänischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 28.05.2021 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag daraufhin mit Bescheid vom 07.06.2021 als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen. Die Abschiebung nach Rumänien wurde angeordnet. Einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 22.06.2021 ab; die Abschiebungsanordnung ist seitdem vollziehbar.

Nach vorheriger Anhörung schränkte der Antragsgegner mit Bescheid vom 21.07.2021 die Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 01.08.2021 ein und gewährte in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 für die Dauer von sechs Monaten nur noch Leistungen für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege sowie Unterkunft und Heizung als Sachleistungen. Der Asylantrag des Antragstellers sei als unzulässig abgelehnt worden, da Rumänien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags für die Bearbeitung zuständig sei. Die Abschiebung nach Rumänien sei angeordnet worden. Eine freiwillige Ausreise sei bisher nicht erfolgt. Der Antragsteller habe offenkundig auch kein Interesse an einer Ausreise.

Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, der im Wesentlichen damit begründet wurde, dass eine Anspruchseinschränkung aus verfassungsrechtlichen Gründen nur zulässig sei, wenn dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Der Antragsteller habe sich aber weder pflichtwidrig in die Bundesrepublik Deutschland begeben noch verweile er hier pflichtwidrig. Ein pflichtwidriges Verhalten scheide bereits deshalb aus, weil dem Antragsteller nicht mitgeteilt worden sein, dass er in der Bundesrepublik Deutschland kein Asyl beantragen dürfe. Jedenfalls sei eine Belehrung über die Rechtsfolge, dass er während des Verfahrens in Deutschland nur eingeschränkte Sozialleistungen erhalte, nicht erfolgt.

Am 03.09.2021 hat der Antragsteller beim Sozialgericht München (SG) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.07.2021 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab 03.09.2021 vorläufig Leistungen entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Die Regelung über die Anspruchseinschränkung sei evident verfassungswidrig, da sie das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Die den Anspruch begründende Menschenwürde stehe allen zu und gehe selbst durch ein vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstrecke sich sowohl auf die Sicherung der physischen Existenz als auch...

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