Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Leibrentenzahlung als Unterkunftskosten. Abgrenzung von Tilgungszahlungen. Berücksichtigungsfähigkeit von Tilgungsraten. Angemessenheitsprüfung unter verfassungskonformer Auslegung und Abweichung von der Rechtsprechung des BSG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Leibrentenzahlungen können Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs 1 SGB 2 sein (Anschluss an LSG Mainz vom 3.9.2012 - L 6 AS 404/12 B ER = info also 2012, 274).

2. Ein Vergleich mit Tilgungsleistung bei Eigentumserwerb vermag an diesem Ergebnis bereits deshalb nichts ändern, weil diese im Rahmen der Angemessenheit grundsätzlich ebenfalls als Aufwendungen für die Unterkunft zu übernehmen sind. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung ist darüber hinaus nicht mit der Entrichtung von Tilgungsraten für kreditfinanzierten Eigentumserwerb gleichzusetzen, da die Leibrentenzahlung nicht unmittelbar zur Vermögensbildung beiträgt.

3. Zur Frage der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2.

 

Nachgehend

BSG (Vergleich vom 04.06.2014; Aktenzeichen B 14 AS 41/13 R)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 05.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.07.2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11.10.2012 verurteilt, den Klägern weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich je 220 € für den Zeitraum vom 01.08.2012 bis zum 31.01.2013 endgültig zu gewähren.

2. Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.

Der 1955 geborene Kläger zu 1) und die 1960 geborene Klägerin zu 2) beziehen seit dem 01.08.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Sie sind (je zur Hälfte) Eigentümer einer selbstbewohnten Immobilie mit einer Wohnfläche von 85 m² und einer Grundstücksfläche von 310 m² in … . Die Kläger hatten die Immobilie aufgrund eines notariellen "Übergabevertrages mit Auflassung" vom 16.06.2003 (mit notariellem Nachtrag vom 20.02.2004) übertragen. Die damalige Eigentümerin (Übergeberin), die am 21.01.1946 geboren ist, hatte sich nach Ziffer II des Vertrages verpflichtet, das Eigentum an dem Grundstück an die Kläger zu übertragen. Der Wert wurde zu Kostenzwecken mit 80.000 € angegeben. Nach Ziff. III. 1. des Vertrages (mit "Gegenleistungen" überschrieben), verpflichteten sich die Kläger an die Übergeberin und ihren am 27.01.1939 geborenen Ehemann als Gesamtberechtigte eine monatliche Rente in Höhe von 440 € zu zahlen, solange einer von beiden noch lebt. Die Rentenhöhe sollte unter gewissen, näher beschriebenen Umständen, dem Verbraucherindexpreis angepasst werden können. Zur Sicherung der Zahlungsverpflichtung wurde zugunsten der Übergeberin und ihres Ehemannes eine auf deren Lebenszeit beschränkte Reallast eingetragen. Nach Ziff. III. 2. des Vertrages ist die Übernehmerin bzw. nach deren Tod ihr Ehemann berechtigt vom Vertrag zurückzutreten, sollten die Kläger mit der Zahlung von mehr als drei Monatsraten in Verzug geraten. In diesem Fall ist das Grundstück wieder an die Übergeberin bzw. ihren Ehemann zurück zu übertragen. Zur Sicherung wurde eine (bedingte und befristete) Rückauflassungsvormerkung zugunsten der Übergeberin und eine Auflassungsvormerkung zugunsten ihres Ehemannes eingetragen. Eine Rückzahlung der bereits erbrachten Rentenzahlungen soll nicht stattfinden (III. 2. des Vertrages). Die Kläger sind im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.

Die Kläger haben vierteljährlich Abgaben (Grundsteuer, Schmutzwasser, wiederkehrender Beitrag, Wasser, Müll) an die … zu entrichten. Zum 15.08.2012 wurde ein Betrag in Höhe von 220,15 € fällig, am 15.11.2012 ein Betrag in Höhe von 115,21 €.

In früheren Bewilligungszeiträumen hatte der Beklagte den Klägern Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung der Leibrentenzahlungen gewährt. Die Angemessenheit der Höhe der Zahlungen hatte der Beklagte nicht in Frage gestellt und auch nicht zur Senkung der Kosten aufgefordert.

Mit einem Änderungsbescheid vom 07.02.2012 hatte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis zum 31.07.2012 im Wege der teilweisen Rücknahme der vorausgegangenen Bewilligung nur noch Leistungen im Umfang von insgesamt 727,41 € monatlich erstmals ohne Berücksichtigung der Leibrentenzahlungen als Unterkunftskosten bewilligt. Zur Begründung hatte der Beklagte ausgeführt, dass der Betrag von 440 € als Leibrente für das Haus nicht mehr als Unterkunftskosten anerkannt werden könne. Auf Grund der Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.02.2008 (L 12 AS 20/07) stellten Leibrentenzahlungen keine Unterkunftskosten dar. Die Leibrentenzahlungen seien Tilgungsleistungen für ein Darlehen bei Eigenheim gleichgestellt.

Die Kläger hatten...

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