Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Untersuchungshaft. abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs. Schätzung. 15 % der Regelbedarfsstufe 1. Nachrang der Sozialhilfe. darlehensweise Gewährung eines Taschengeldes durch die Vollzugsbehörde

 

Orientierungssatz

1. Einem Untersuchungsgefangenen steht für persönliche Bedürfnisse ein "Taschengeld" aus Sozialhilfemitteln zu, welches nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 individuell zu bemessen ist.

2. Der entsprechende Bedarf ist nach § 202 SGG iVm § 287 ZPO zu schätzen; insoweit erscheinen 15 % der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB 12 ausreichend und angemessen.

3. Das in Nordrhein-Westfalen darlehensweise gewährte arbeitstägliche Taschengeld nach § 11 Abs 5 UVollzG NW löst insoweit keinen Nachrang der Sozialhilfe aus.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 05.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2015 verurteilt, dem Kläger Sozialhilfe als Zuschuss in Höhe von 179,86 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 6/7.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Form eines angemessenen Taschengeldes für die Zeit einer Untersuchungshaft vom 15.05. - 31.08.2014.

Der 1960 geborene, alleinstehende Kläger wurde am 14.05.2014 in der JVA K. in Untersuchungshaft genommen. Zuvor lebte der Kläger in E. und erhielt vom Jobcenter E. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Über weiteres Einkommen verfügte der Kläger nicht. Mit schriftlichem Antrag vom 26.05.2015, dem Kreis E. zugegangen am 30.05.2014, beantragte der Kläger die Gewährung eines Taschengeldes nach dem SGB XII. Zum 01.09.2014 wurde dem Kläger in der JVA eine Stelle als Hausarbeiter zugewiesen, aus der er seit dieser Zeit Einkommen erzielt. Mit Bescheid vom 05.12.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch vom 06.01.2015 wies der Kreis E. mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2015 als unbegründet zurück: Nach § 11 Abs. 2 UVollzG NRW solle Untersuchungsgefangenen auf Nachfrage eine wirtschaftlich ergiebige Arbeit angeboten werden, die ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtige. Untersuchungsgefangenen, die zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig seien, könne eine sonstige geeignete Beschäftigung angeboten werden. Mit ihrer Zustimmung könnten Untersuchungsgefangene auch zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt herangezogen werden. § 11 Abs. 5 UVollzG NRW bestimme, dass in Ausnahmefällen, namentlich zur Überbrückung einer unverschuldeten Bedürftigkeit zu Beginn der Inhaftierung, die Anstaltsleitung Untersuchungsgefangenen auf Antrag darlehnsweise Taschengeld gewähren könne. Nach § 2 SGB XII erhalte derjenige keine Sozialhilfe, der sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen könne oder die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Eine Hilfegewährung scheide deshalb aufgrund des Nachrangs der Sozialhilfe vorliegend aus.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 29.05.2015.

Der Kläger lässt vortragen, es entspreche gefestigter Rechtsprechung (unter Bezugnahme auf Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.05.2012, L 20 SO 55/12), dass für Personen in einem strafgerichtlich angeordneten Freiheitsentzug neben der Versorgung durch die jeweilige Einrichtung auch sozialhilferechtliche Leistungsansprüche in Betracht kämen. Für Untersuchungsgefangene habe das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass ein Taschengeld zu den sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bedürfnissen des täglichen Lebens gehören könne, die nicht durch Sachleistungen der Justizverwaltung gedeckt seien (unter Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.10.1993, 5 C 38/92). Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen habe ferner entschieden, dass ein Anspruch auf individuell bemessene Hilfe zum Lebensunterhalt nicht durch bloßen Verweis auf den so genannten Nachrangigkeitsgrundsatz der Sozialhilfe negiert werden könne. Denn die Vorschriften über die Nachrangigkeit der Sozialhilfe stellten regelmäßig keine eigenständigen Ausschlussnormen dar, sondern könnten lediglich im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden Vorschriften des SGB XII einer anspruchsbegründenden Bedürftigkeit entgegenstehen. Insbesondere sei die in § 11 Abs. 5 S. 1 UVollzG NRW geregelte Möglichkeit der darlehensweisen Gewährung von Taschengeld nicht geeignet, einen Sozialhilfeanspruch auszuschließen. Jedenfalls für die Zeit bis zum 31.08.2014 könne der Kläger nicht auf die Möglichkeit des Einsatzes seiner eigenen Arbeitskraft verwiesen werden. Er habe sich mehrfach vergeblich um einen Arbeitsplatz in der JVA bemüht. Erst ab dem 01.09.2014 sei ihm jedoch eine Stelle als Hausarbeiter zugewiesen worden.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der...

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