Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. gemeinsames Mittagessen in tagesstrukturierenden Angeboten. keine Kostenübernahme durch den Eingliederungshilfeträger. Finanzierung mit eigenem Einkommen. Trennung von Fachleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Verfassungsrecht. Gleichheitssatz

 

Leitsatz (amtlich)

Eine von der Einrichtung geforderte Pauschale zum Mittagessen iHv 64,60 € monatlich bei Teilnahme an einem tagesstrukturierenden Angebot ist nicht vom Eingliederungshilfeträger zu übernehmen. Es handelt sich um einen Bedarf zum Lebensunterhalt, der vom behinderten Menschen selbst zu finanzieren ist, wenn er wegen seines Einkommens keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hat. Dies verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG.

 

Orientierungssatz

Insoweit besteht kein Anspruch darauf, dass die vormals bestehenden Vergünstigungen auch nach der Trennung von Fachleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die neue Eingliederungshilfe erhalten bleiben.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der beklagte Eingliederungshilfeträger verpflichtet ist, die Kosten des Mittagessens im Rahmen der Tagesstruktur für Senioren ab 01.04.2020 in Höhe von monatlich 64,60 € im Wege der Eingliederungshilfe zu übernehmen.

Der … geborene Kläger lebt seit 01.10.2001 in einer vollstationären Wohnform der Einrichtung … . Bei ihm besteht eine psychische Erkrankung und eine geistige Behinderung; ein Grad der Behinderung von 100 vH mit Merkzeichen G, H und B ist seit 1974 anerkannt. Der Kläger bezieht eine Altersrente sowie eine Betriebsrente und hat aufgrund der Höhe seines Einkommens keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Die Einrichtung legte zur Abänderung des bestehenden Heimvertrags dem Betreuer des Klägers zwei Verträge vor, die dieser nach eigenen Angaben nur unter Vorbehalt unterschrieb. Deswegen war nach Mitteilung des Betreuers ein zivilrechtliches Verfahren vor dem Amtsgericht (AG) Heilbronn anhängig. Im Vertrag über tagesstrukturierende Angebote für Menschen mit Behinderung ist unter § 3 Mittagsverpflegung geregelt, dass bei einer 5-Tage-Arbeitswoche eine monatliche Pauschale iHv 64,60 € vom Teilnehmer zu zahlen ist. Im Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform der Eingliederungshilfe ist unter § 2 Gegenstand der Leistungserbringung in Absatz 1 geregelt, dass sich die Leistungen zusammensetzen aus (1.) Überlassung von persönlichem Wohnraum und gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten zur Erbringung von Fachleistungen, (2.) Fachleistungen, (3.) Leistungen zum Lebensalltag. Zu den Leistungen zum Lebensalltag ist in Teil D § 1 vorgesehen, dass Lebensmittel und Hauswirtschaftsmittel (nur Sachkosten) von der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden; Lebensmittel und Getränke in einem Umfang, die die Versorgung mit Frühstück, Mittagessen, Abendessen und einer Zwischenmahlzeit ermöglichen. Das Entgelt für die Leistungen zum Lebensalltag nach § 1 beläuft sich nach Teil D § 2 Abs 1 auf 251,52 €. Ab 01.01.2020 rechnete die Einrichtung gegenüber dem Kläger diese Kosten ab (Wohnraumentgelt 466,18 €, Entgelt zur Haushaltsführung 251,52 € und Mittagessen pauschal 64,40 €).

Der Sozialhilfeträger bewilligte aufgrund der Übergangsvorschrift des § 140 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) dem Kläger mit Bescheid vom 10.12.2019 einen einmaligen Zuschuss zur Vermeidung einer Zahlungslücke für Januar 2020 iHv 855,18 €. Mit Bescheid vom 18.02.2020 hob er diesen Bescheid wieder auf und bewilligte stattdessen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Mittagsverpflegung iHv 64,60 € und eines Mehrbedarfs nach § 42 iVm § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII iHv 66,13 € einen Zuschuss iHv 985,91 €.

Mit Bescheid vom 17.02.2020 bewilligte der Beklagte als Leistungen der Eingliederungshilfe die Kosten der Fachleistungen in der Besonderen Wohnform (bisher vollstationäre Unterbringung) sowie der Tagesstruktur für Senioren in der Einrichtung … ab 01.01.2020 bis 30.09.2021 in Höhe der vereinbarten und jeweils gültigen Vergütungssätze abzüglich eines ggf zu zahlenden Eigenanteils. Zugleich wurden die bisher erteilten Kostenzusagen zum 31.12.2019 aufgehoben. Ein vom Kläger zu zahlender Eigenanteil wurde in der Folgezeit nicht festgesetzt.

Der Betreuer des Klägers beantragte am 31.01.2020, die Kosten des Mittagessens iHv monatlich 64,60 € im Wege der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Nach § 113 Abs 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sei die Mittagsverpflegung eine Leistung der Eingliederungshilfe. Da offenbar von der Einrichtung eine werkstattähnliche Tagesstruktur abgerechnet werde, und vom Beklagten bei den Leistungen ein Abzug erfolge, müssten die Kosten im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen werden, da der Kläger keine Grundsicherung erhalte.

Mit streitigen Bescheid vom 19.02.2020 lehnte der Bekla...

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