Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Festsetzung eines Vorschusses auf die Verfahrensgebühr. Berechnung. Billigkeitskontrolle

 

Orientierungssatz

1. Ein Vorschuss gemäß § 47 RVG ist nach der bisherigen Tätigkeit des Rechtsanwaltes zu bemessen. Dabei ist nicht von den zu erwartenden, sondern lediglich von den bereits entstandenen Gebühren auszugehen.

2. Bei Entscheidungen gemäß § 55 RVG, bei denen nicht auf die Billigkeitskontrolle des § 14 Abs 1 S 4 RVG zurückzugreifen ist, ist in entsprechender Anwendung des § 315 Abs 3 S 1 BGB eine Billigkeitskontrolle durchzuführen, die einen Toleranzrahmen mit sich bringt.

 

Tenor

1. Auf die Erinnerung vom 15.8.2017 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Hamburg vom 3.8.2017 zum Aktenzeichen S 26 AS 3794/16 abgeändert. Die von der Staatskasse zu erstattenden Kosten werden auf 380,80 € festgesetzt.

2. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.

 

Gründe

Die Erinnerung wendet sich gegen die hinter dem Antrag (Mittelgebühr) zurückbleibende Festsetzung eines Vorschusses gem. § 47 RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) im angefochtenen Beschluss.

1. Die insbesondere form- und fristgerecht erhobene Erinnerung (§§ 55, 56, 33 RVG) ist zulässig und begründet. Der Erinnerungsführer hat Anspruch auf einen Vorschuss von 380,80 €. Zur Berechnung kann auf den Antrag vom 13.7.2017 verwiesen werden. Der aufgrund des angefochtenen Beschlusses gezahlte Betrag von 309,40 € ist anzurechnen.

Streitig ist die Höhe des Vorschusses auf die Verfahrensgebühr.

Das Gericht geht zunächst davon aus, dass der Vorschuss gem. § 47 RVG nach der bisherigen Tätigkeit des Rechtsanwaltes oder der Rechtsanwältin zu bemessen ist. Es sind keine pauschalen Abschläge deswegen vorzunehmen, weil es sich zunächst um einen Vorschuss handelt. Dies ist im angefochtenen Beschluss auch nicht geschehen. Eine systematische Betrachtung des Wortlauts des § 47 RVG zeigt aber auch, dass (anders als bei den Auslagen) für die Gebühren nicht von den zu erwartenden, sondern lediglich von den bereits entstandenen Gebühren auszugehen ist.

Die Urkundsbeamtin ist zu Recht davon ausgegangen, dass nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG bei der Verfahrensgebühr die Mittelgebühr noch nicht erreicht wird. Der Umfang der Tätigkeit sollte aber auch nicht zu gering bewertet werden. Eine 5/6-Mittelgebühr ist derzeit angemessen. Die Schriftsätze des Bevollmächtigten vom 14.6.2017 und 13.7.2017 zeigen, dass der Bevollmächtigte trotz der relativ kurzen Zeitspanne den Prozessstoff in diesem von ihm übernommenen laufenden Verfahren ausgewertet, mit dem Kläger erörtert, weitere Unterlagen beschafft und eine zwar gedrängte, aber gezielte Darlegung der Prozesslage geleistet hat. Damit ist der durchschnittliche Tätigkeitsumfang eines AS-Verfahrens zwar deutlich noch nicht erreicht, aber schon in sehr wesentlichen Teilen. Zudem ist aufgrund der Beiladung durch den weiteren Verfahrensbeteiligten die Schwierigkeit leicht erhöht.

Die vom Erinnerungsführer beantragte Mittelgebühr hält sich damit im Rahmen des sog. 20%-Toleranzrahmens und kann festgesetzt werden. Auch bei Entscheidungen gemäß § 55 RVG, bei denen nicht auf die Billigkeitskontrolle des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG zurückzugreifen ist (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, § 55 Rn. 32), ist nach Auffassung des Gerichts in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB eine Billigkeitskontrolle durchzuführen (ebenso Müller-Rabe, a.a.O.), die einen Toleranzrahmen mit sich bringt.

2. Das Erinnerungsverfahren ist gebührenfrei, § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG. Eine Kostenerstattung findet nicht statt, § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.

3. Gegen diesen Beschluss ist aufgrund von § 1 Abs. 3 i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m.§ 33 Abs. 3 Satz 1 RVG die Beschwerde nicht zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt für die Beteiligten den Betrag von 200,00 EUR nicht.

 

Fundstellen

AGS 2019, 196

NJW-Spezial 2019, 285

AiSR 2019, 35

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