Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag

 

Orientierungssatz

Auch Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden, sind mit einem Abschlag zu versehen (Entgegen BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, Anschluss an SG Aachen vom 9.2.2007 - S 8 R 96/06).

 

Tatbestand

Streitig sind Rentenabschläge wegen Inanspruchnahme der Leistung vor dem 60. Lebensjahr.

Die Beklagte bewilligte der 1968 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 25. September 2006 ab 1. Mai 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Den monatlichen Zahlbetrag setzte sie auf 1.127,84 € fest. Für die Rentenberechnung legte sie die gesetzlichen Vorschriften in ihrer gültigen Fassung zu Grunde, was dazu führte, dass wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres ein Abschlag von 10,8 Prozent erfolgte.

Gegen den Rentenabschlag erhob die Klägerin Widerspruch und machte unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2006 (B 4 RA 22/05 R) geltend, dass bei Erwerbsminderungsrenten mit Bezugszeiten vor dem 60. Lebensjahr Rentenabschläge rechtswidrig seien. Daher bestehe Anspruch auf ungekürzte Rente.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dem zitierten höchstrichterlichen Urteil werde über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt. § 77 Absatz 2 Satz 2 SGB VI sei so zu interpretieren, dass die Vorschrift die Höhe des Abschlages bei Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet würden, auf die Abschlagshöhe begrenze, die für den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres gelte. Mithin sei der Zugangsfaktor um 10,8 Prozent zu mindern. Im Übrigen sei mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000, das die hier streitigen Abschläge regele, auch die Zurechnungszeit verlängert worden. Diese Neuregelung der Zurechnungszeit ergebe eine beträchtliche Rentenerhöhung in den Fällen, in denen der Versicherte bereits in jungen Jahren erwerbsgemindert werde. Die Rentenkürzungen aus der Verringerung des Zugangsfaktors fänden daher durch die Neuregelung der Zurechnungszeit eine hohe Kompensation. Anspruch auf ungekürzte Rente habe die Klägerin daher nicht.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage.

Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen, ein sachlicher Grund für die Rentenabschläge sei nicht gegeben, wie insbesondere die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. September 2006 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2007 zu verurteilen, Rente ohne Rentenabschläge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden und verweist erneut darauf, dass § 77 Absatz 2 Satz 2 SGB VI als Berechnungsregel zu verstehen sei, die entsprechende Abschläge bei einem Rentenbezug vor Vollendung des 60. Lebensjahres zulasse und lediglich auf 10,8 Prozent begrenze.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten (drei Bände) der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Da die Kammer zu den Fragen der Anwendung des § 77 SGB VI auf Rentenbezieher, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bereits in voller Kammerbesetzung durch Urteil entschieden und sich insoweit eine gefestigte erstinstanzliche Rechtsprechung gebildet hat, konnte in vorliegender Sache nach Anhörung der Beteiligten ein Gerichtsbescheid ergehen.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid in der Form des Widerspruchsbescheides ist Klagegegenstand insoweit, als die Beklagte einen Rentenabschlag von 10,8 Prozent wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente vorgenommen hat. Diese Rentenkürzung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es besteht kein Anspruch auf höhere Rente ohne Abschlag. Hiervon ist die Kammer überzeugt.

Zwar ist einzuräumen, dass bei Heranziehung der vom Bundessozialgericht vertretenen Rechtsauffassung (Urteil vom 16. Mai 2006 - Az: B 4 RA 22/05 R) der geltend gemachte Anspruch begründet wäre, weil die Klägerin das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Die Kammer vermochte jedoch dem genannten Urteil nicht zu folgen.

Die insoweit in den Vordergrund gerückte Regelung des § 77 Absatz 2 Satz 3 SGB VI, wonach die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt, kann aus Sicht der Kammer nicht aus ihrem Zusammenhang mit den vorausgehenden Bestimmungen des § 77 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 SGB VI gelöst werden. Soweit in § 77 Absatz 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60. Lebensjahres als maßgebend für die Bestimmung des Zugangsfaktors festgelegt wird, ist nach dem Gesetzeswortlaut der Zugangsfaktor so zu bestimmen, als ob die Erwerbsminderungsrente nicht vor Vo...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge