Leitsatz (amtlich)

Erwerbsminderungsrenten sind auch bei unter 60jährigen Versicherten mit Rentenabschlägen zu versehen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Rentenabschlägen.

Die Beklagte bewilligte der 1948 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 25. Januar 2007 Dauerrente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Juni 2006. Mit weiterem Bescheid vom 29. Januar 2007 gewährte sie an Stelle der bisherigen Rente befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis zum 30. November 2009. Im Rahmen der jeweiligen Rentenberechnungen verminderte sie wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Leistungen den grundsätzlichen Zugangsfaktor von 1,000 um 0,108 auf 0,892, so dass sich die persönlichen Entgeltpunkte statt 26,1972 auf 23,3679 beliefen.

Hiergegen erhob die Klägerin Widersprüche und begehrte unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2006 - Az: B 4 RA 22/05 R), wonach Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten für Rentner unter 60 Lebensjahren unzulässig seien, eine Neufestsetzung der Renten ohne Abschläge.

Mit Bescheid vom 12. April 2007 wurden die Widersprüche zurückgewiesen. Auch Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen würden, seien mit einem Abschlag zu versehen. Bei § 77 Absatz 2 Satz 3 SGB VI handle es sich um eine bloße Berechnungsregel. Im Übrigen sei mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Zurechnungszeit verlängert worden. Die Neuregelung der Zurechnungszeit ergebe eine beträchtliche Rentenerhöhung in den Fällen, in denen der Versicherte bereits in jungen Jahren erwerbsgemindert werde. Die über die gesamte Bezugsdauer hinzunehmenden Rentenabschläge würden daher durch die Neuregelung der Zurechnungszeit eine hohe Kompensation finden. Dem zitierten Urteil werde über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage.

Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung habe sie Anspruch auf ungekürzte Renten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 25. Januar 2007 und 29. Januar 2007 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2007 zu verurteilen, die bewilligten Renten ohne Minderung des Zugangsfaktors zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten (3 Bände) der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Da die Kammer zu den Fragen der Anwendung des § 77 SGB VI auf Rentenbezieher, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bereits in voller Kammerbesetzung durch Urteil entschieden und sich insoweit eine gefestigte erstinstanzliche Rechtsprechung gebildet hat, konnte in vorliegender Sache nach Anhörung der Beteiligten ein Gerichtsbescheid ergehen.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide, die in Form des Widerspruchsbescheides Gegenstand des Klageverfahrens sind, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es besteht kein Anspruch auf höhere Rente ohne Abschlag. Hiervon ist die Kammer überzeugt.

Zwar ist einzuräumen, dass bei Heranziehung der vom Bundessozialgericht vertretenen Rechtsauffassung (Urteil vom 16. Mai 2006 - Az: B 4 RA 22/05 R) eine Verminderung des Zugangsfaktors nicht vorzunehmen und mithin der geltend gemachte Anspruch begründet wäre, weil die Klägerin das 60. Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Die Kammer vermochte jedoch dem genannten Urteil nicht zu folgen.

Die insoweit in den Vordergrund gerückte Regelung des § 77 Absatz 2 Satz 3 SGB VI, wonach die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt, kann aus Sicht der Kammer nicht aus ihrem Zusammenhang mit den vorausgehenden Bestimmungen des § 77 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 SGB VI gelöst werden. Soweit in § 77 Absatz 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60. Lebensjahres als maßgebend für die Bestimmung des Zugangsfaktors festgelegt wird, ist nach dem Gesetzeswortlaut der Zugangsfaktor so zu bestimmen, als ob die Erwerbsminderungsrente nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogen würde. Ein Versicherter, der ab dem 50. Geburtstag eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezieht, hätte nach der Ausgangsregelung des § 77 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI an sich eine Kürzung des Zugangsfaktors um 0,003 für jeden der insgesamt 156 Kalendermonate der Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres hinzunehmen, so dass sich ein Zugangsfaktor von lediglich 0,532 ergeben würde. § 77 Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB VI modifizieren diese Regelung jedoch dahingehend, dass die Kürzung des Zugangsfaktors um 0,003 nur für jeden der insgesamt 36 Mo...

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