Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Umstrukturierung der örtlichen Zuständigkeit. Rechtsnachfolge. Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers. Kenntnis

 

Orientierungssatz

1. § 105 Abs 3 SGB 10 stellt eine Schutzvorschrift für die dort genannten Leistungsträger gegen eine rückwirkende Inanspruchnahme in einem Kostenerstattungsverfahren dar.

2. Mit dem Abstellen auf die Kenntnis der Voraussetzungen für die Leistungspflicht der Sozialhilfeträger für den Beginn der Kostenerstattungspflicht nimmt § 105 Abs 3 SGB 10 Bezug auf das für diese Leistungsträger geltende materielle Recht und stellt eine Konnexität zwischen Erstattungs- und Sozialleistungsanspruch her (vgl BVerwG vom 2.6.2005 - 5 C 30/04 = FEVS 57, 213).

3. Ist eine Rechtsnachfolge der örtlichen Sozialhilfeträger zum 1.1.2005 in die Rechte und Pflichten des bisher örtlich zuständigen Landeswohlfahrtsverbandes gem Art 177 § 12 Abs 1 S 1 VerwRefG BW 2004 angeordnet, wird im Verhältnis zum Hilfeempfänger der Kenntnisgrundsatz des § 18 Abs 1 SGB 12 "ausgehebelt". Eine besondere Schutzbedürftigkeit des zuständigen Sozialhilfeträgers iS des § 105 Abs 3 SGB 10 ist in diesen Fällen nicht zu erkennen.

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Kostenerstattung für die Hilfefälle   in Höhe von 25.709,23 € zu zahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Erstattung aufgewendeter Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (6. Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -) für die Hilfeempfänger.

Die Hilfeempfänger sind behindert i.S.v. § 53 SGB XII und beziehen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel SGB XII. Im hier streitgegenständlichen Zeitraum waren sie in verschiedenen Einrichtungen untergebracht.

Bis zum 31.12.2004 war für die Hilfeempfänger der Landeswohlfahrtsverband Baden als überörtlicher Leistungsträger örtlich und sachlich zuständig. Mit Art. 177 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz - VRG) wurden die in Baden-Württemberg bestehenden Landeswohlfahrtsverbände mit Ablauf des 31.12.2004 aufgelöst. Die wahrgenommenen Aufgaben sind auf die Stadt- und Landkreise und den Kommunalverband für Jugend und Soziales übergegangen (§ 2 Art. 177 VRG). Der Landeswohlfahrtsverband verteilte daraufhin im Dezember 2004 die Hilfefälle an die nach seiner Auffassung örtlich zuständigen Sozialhilfeträger. Die o.g. Hilfefälle wurden dabei an die Klägerin übersendet. Die Klägerin leistete daraufhin ab dem 01.01.2005 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten der stationären Unterbringung und Betreuung. Bei einer Überprüfung der Hilfefälle stellte die Klägerin fest, dass für die o.g. Hilfeempfänger der Beklagte örtlich zuständig ist. Mit Schreiben vom 24.02.2005, 25.02.2005, 25.04.2005 und 03.04.2005 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass dieser nach ihrer Auffassung örtlich für die Hilfefälle zuständig sei, bat um Übernahme der Hilfefälle und machte jeweils Kostenerstattungsansprüche ab 01.01.2005 geltend. Der Beklagte übernahm daraufhin die Hilfefälle, lehnte jedoch eine rückwirkende Kostenerstattung ab.

Mit Schreiben vom 15.03.2007, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am 15.03.2007, hat die Klägerin Zahlungsklage i. H. v. zunächst 29.046,75 € zzgl. Zinsen aus den vier genannten Hilfefällen gegen den Beklagten erhoben.

Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, dass vorliegend ein Kostenerstattungsanspruch nach § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bestehen würde. Nach den gesetzlichen Vorschriften sollte mit der Auflösung des Landeswohlfahrtsverband und dem Aufgabenübergang auf die zuständigen Städte und Landkreise ein nahtloser Übergang der Leistungsgewährung einhergehen. Der Beklagte könne sich vorliegend nicht auf den Kenntnisgrundsatz des § 105 Abs. 3 SGB X berufen. Er sei bzgl. der Hilfefälle Rechtsnachfolger des Landeswohlfahrtsverbandes und müsse sich daher so behandeln lassen, als habe er am 01.01.2005 Kenntnis von der Leistungsverpflichtung gehabt. Dies folge aus dem Grundsatz der umfassenden Rechtskontinuität bei Zuständigkeitsveränderungen. Die Rechtsverhältnisse würden vorliegend nicht erlöschen, sondern seien in ihrer Gesamtheit sowohl rechtlich als auch tatsächlich dem Nachfolger zuzuordnen. Ein Festhalten am Kenntnisgrundsatz würde bei einer gesetzlichen Rechtsnachfolge dazu führen, dass sich der Rechtsnachfolger ggf. auf seine Unkenntnis zur Abwendung seiner Leistungspflicht berufen könnte und wäre damit der Leistungsempfänger schutzlos gestellt. Aufgrund der Rechtsnachfolge sei der Beklagte den Hilfeempfängern seit dem 01.01.2005 materiell-rechtlich leistungsverpflichtet und greife daher die Schutzwirkung des § 105 Abs. 3 SGB X nicht.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

den Beklagten zu verp...

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