Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. sachliche Zuständigkeit. Baden-Württemberg. Zuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers. örtliche Zuständigkeit. stationäre Unterbringung. Einrichtungskette. letzter gewöhnlicher Aufenthalt vor Aufnahme in die erste Einrichtung. Nichtermittelbarkeit. Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am tatsächlichen Aufenthaltsort bei Aufnahme in die erste Einrichtung. Ausschlussfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Anforderungen an einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs 3 S 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I).

2. Zur Ausschlussfrist nach § 111 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

 

Orientierungssatz

1. Ist nicht mehr ermittelbar, wo der Leistungsberechtigte vor Aufnahme in die erste Einrichtung zu Beginn einer Einrichtungskette seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, greift § 98 Abs 2 S 3 SGB 12 ein. Maßgeblich ist dann der tatsächliche Aufenthalt zu Beginn der Einrichtungskette (vgl LSG Stuttgart vom 30.3.2011 - L 2 SO 1196/10 = Justiz 2011, 225).

2. § 105 Abs 3 SGB 10 gilt nicht für die Fälle einer vom Landeswohlfahrtsverband kraft gesetzlicher Regelung zum 1.1.2005 übergegangener Zuständigkeit. Die gesetzlich angeordnete Rechtsnachfolge im Verhältnis zum Hilfeempfänger hat den Kenntnisgrundsatz des § 18 Abs 1 SGB 12 ausgehebelt (vgl LSG Stuttgart vom 21.10.2015 - L 2 SO 5328/13).

 

Normenkette

SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; SGB X § 105 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 111 Sätze 1-2; SGB XII § 8 Nr. 4, § 18 Abs. 1, §§ 53, 97 Abs. 1, 2 S. 1, § 98 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1-3; SGB12AG BW § 2; WohlfVbdAuflG BW § 12 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29. November 2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten auch für das Berufungsverfahren.

Der Streitwert wird auf 72.648,20 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung von für den Hilfeempfänger H. (im Folgenden T. H.) nach der Verwaltungsreform geleisteter Sozialhilfe in der Zeit vom 1.1.2005 bis 31.12.2006 i.H.v. 72.648,20 €.

T. H. und sein Zwillingsbruder K. wurden am 13.3.1959 in der Städtischen Frauenklinik U. (Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1) geistig behindert und unehelich geboren. Die Mutter der Kinder ist die 1927 geborene und 1991 verstorbene I. H. (im Folgenden I. H.). Über ihren Aufenthalt vor der Geburt ist bekannt, dass sie am 6.4.1957 in U., R. Str. 173 gemeldet war, am 1.1.1958 nach unbekannt abgemeldet und am 4.6.1958 in U. “von ohne festen Wohnsitz„ in den S. 32 wieder angemeldet war. Vom 1.10.1958 bis April 1959 war sie in B. (A.-Kreis, Zuständigkeitsbereich des Beklagten) in der, einem damals der deutschen Bahn gehörigen Haus mit Gastwirtschaft, gemeldet. Vater der Kinder ist der 1937 geborene H., der seit der Geburt keinen Kontakt zu den Kindern und der Kindsmutter hatte (Bl. 33 SG Akte).

Die Zwillinge fanden am 19.3.1959 Aufnahme in der Einrichtung “g.„ in U., P., eine stationäre Einrichtung für gefallene/junge Mütter mit ihren Kindern. Von dort aus sind sie am 27.10.62 in das Kinderheim S. verbracht worden, am 23.7.1967 erfolgte der Umzug ins Kinderheim J. in H.. Kostenträger der Maßnahme war das Jugendamt U.. Seit 22.8.1974 leben die Zwillinge in der Samariter Stiftung N. (O., Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen zu 2). Bis zu seiner Auflösung am 31.12.2004 war der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern (LWV) Kostenträger dieser Maßnahme. Seine Bemühungen, den kostenerstattungspflichtigen Träger der Sozialhilfe zu ermitteln, sind ergebnislos geblieben (Bl. II/43 VA LWV). Auf Nachfrage des LWV teilte I. H. unter dem 25.7.1984 schriftlich mit, dass sie ihren Wohnort vor der Geburt ihrer beiden Söhne in U. gehabt habe. Die Straße wisse sie nicht mehr. (Bl. II/55 VA LWV). Kontakt zu den Zwillingen hatte sie nicht. Zum 1.1.2005 hat der LWV die Behördenakten der Zwillinge dem Kläger übergeben, der seither Leistungen der Eingliederungshilfe in Form einer vollstationären Heimunterbringung und dem Besuch der Werkstatt für Menschen mit Behinderung für die Zwillinge erbringt. (vgl. hierzu Bl IV-474 VA Kläger).

Der Kläger ermittelte zu Beginn des Jahres 2009 umfangreich zu den Aufenthaltsverhältnissen 1959. Als Adresse der Mutter ist u.a. in der Geburtsurkunde der Kinder U., angegeben. Nach den Meldeunterlagen hat sie sich dort am 2.4.1959 “von B.„ angemeldet und sich am 30.4.1959 von U. nach H.) abgemeldet.

Mit Schreiben vom 3.3.2009 wandte sich der Kläger an die Beigeladene zu 1, mit der Bitte um Kostenerstattung nach § 105 SGB X für die Gewährung von Eingliederungshilfe für T. H. und seinen Zwillingsbruder ab dem 1.1.2005 bis zum Zeitpunkt der Fallübernahme. Die Beigeladene zu 1 erklärte sich unter Hinweis auf § 111 SGB X und dem Rundschreiben des KVJS zu dieser Thematik bereit, die Kostenerstattungsverpflichtung ab dem 9.3.2008 bis zur Fallübernahme durch die ...

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