Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Analogleistung. Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft. Anwendbarkeit des § 15 AsylbLG. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 15 AsylbLG in der ab dem 1.9.2019 geltenden Fassung des Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 (BGBl I 2019, 1294) gilt seinem Wortlaut nach für alle Leistungsbezieher nach dem AsylbLG, die vor dem 22.8.2019 bereits Analogleistungen nach § 2 AsylbLG bezogen, und nicht nur für diejenigen Leistungsbezieher, die am 22.8.2019 bereits seit 15, aber noch nicht seit 18 Monaten entsprechende Leistungen bezogen.

2. § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG in der ab dem 1.9.2019 geltenden Fassung durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.8.2019 (BGBl I 2019, 1290) begegnet sowohl unter dem Aspekt des durch Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG garantierten Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Orientierungssatz

§ 2 AsylbLG wurde im Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 (BGBl. I 2019, 1294) ausschließlich dahingehend geändert, dass als Voraussetzung für den Bezug von Analogleistungen nunmehr 18 Monate Aufenthalt in der Bundesrepublik gefordert werden anstatt vorher 15 Monate. Es liegt daher auch im Hinblick auf die gesetzgeberische Intention nahe anzunehmen, dass der Gesetzgeber die ausdrückliche Übergangsregelung in § 15 AsylbLG nur schaffen wollte für Leistungsbezieher, die sich bei Inkrafttreten der Neuregelung am 1.9.2019 zwar bereits 15 Monate, aber noch nicht 18 Monate in der Bundesrepublik befanden, um deren vorübergehenden kurzzeitigen „Rückfall“ in die geringeren Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und den damit verbundenen bürokratischen Aufwand zu vermeiden. Diese durchaus sinnvolle und plausible gesetzgeberische Intention ist allerdings im Wortlaut des § 15 AsylbLG nicht zum Ausdruck gekommen. Der Wortlaut des § 15 AsylbLG beschreibt einen wesentlich weiteren Personenkreis, nämlich - ohne weitere Qualifizierung - sämtliche Leistungsbezieher, die bis zum 21.8.2019 anspruchsberechtigt auf Analogleistungen waren und eben nicht nur diejenigen, die sich am definierten Stichtag zwar schon 15, aber noch nicht 18 Monate im Bundesgebiet aufhielten. An diesem Wortlaut muss sich der Gesetzgeber festhalten lassen.

Es fehlt an einer empirischen Grundlage für die Annahme, dass der Bedarf von Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG wesentlich anders zu bestimmen wäre als für Leistungsbezieher nach dem SGB II und SGB XII. Dementsprechend gibt es auch keine belastbaren empirischen Erkenntnisse dazu, dass ausgerechnet die Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber regelmäßig bereit oder überhaupt (angesichts unterschiedlicher Muttersprachen, unterschiedlich guter Deutschkenntnisse und unterschiedlicher kultureller Prägung und Alltagsgewohnheiten) in der Lage wären, mit völlig fremden Personen, mit denen sie zufällig die Unterkunft bzw. deren Gemeinschaftseinrichtungen teilen, in eine derart enge Beziehung zu treten, dass das Wirtschaften „aus einem Topf “ - wie in einer Paarbeziehung - möglich wird. Um die vom Gesetzgeber unterstellten Synergieeffekte tatsächlich zu erzielen, wäre dafür eine engere Absprache und eine engere wirtschaftliche Verflechtung der Bewohner untereinander notwendig, als sie z. B. in Zweckwohngemeinschaften im privaten Mietsektor, in Untermietverhältnissen oder etwa in Obdachlosenunterkünften üblich ist (und daher im SGB II und SGB XII bei diesen Wohnformen auch nicht unterstellt wird). Das gleiche gilt auch für Einsparpotentiale, die sich zwar nicht aus gemeinsamem Wirtschaften mit Mitbewohnern, wohl aber aus der Nutzung von der Einrichtung zur Verfügung gestelltem Inventar und Verbrauchsgütern ergeben können. Auch hier fehlt es an einer belastbaren empirischen Grundlage für die pauschale Annahme des Gesetzgebers, dass jeder Leistungsbezieher nach dem AsylbLG in jeder Gemeinschaftsunterkunft (unabhängig von deren Art, Größe, Zuschnitt und Ausstattung) von derartigen Synergieeffekten profitiert.

Auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG erscheint die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG fragwürdig. Dies zeigt der Vergleich mit anderen Bewohnern von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber, die ihren Lebensunterhalt nicht durch Leistungen nach dem AsylbLG bestreiten, sondern durch Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II oder - vorstellbar im Falle von Alter, Behinderung oder chronischer Krankheit - durch Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Diese Personen erhalten, soweit sie alleinstehend sind, trotz ihrer Wohnsituation in der Gemeinschaftsunterkunft im Rahmen der Grundsicherung die volle Regelleistung für Alleinstehende, ohn...

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