Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des an Diabetes erkrankten Versicherten auf häusliche Krankenpflege zur Blutzuckermessung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 37 Abs. 2 SGB 5 erhalten Versicherte als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Der Anspruch besteht nach Abs. 3 nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

2. Blutzuckermessungen sind bei Diabetikern krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen und zählen damit zum Bereich der Behandlungspflege.

3. Die Blutzuckermessung wird in Nr. 11 der Anlage der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nur für eine Dauer von bis zu vier Wochen unter weiteren Voraussetzungen als verordnungsfähig bezeichnet.

4. Diese Begrenzung ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 37 SGB 5 nicht gedeckt.

5. Nach § 1 Abs. 4 der Häusliche Krankenpflege Richtlinie sind nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege i. S. von § 37 SGB 5 in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden. In einem solchen Fall ist der Krankenversicherungsträger leistungspflichtig.

 

Tenor

1. Die Bescheide der Beklagten vom 20. Juni 2013 und 20. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2014 sowie der Bescheid vom 19. Dezember 2014 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den in dem Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 für die Blutzuckermessungen entstandenen Kosten in Höhe von 3.409,06 € freizustellen.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Freistellung von den in der Zeit vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 entstandenen Kosten für häusliche Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen.

Der 1936 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D. verordnete dem Kläger mit Folge-Verordnungen vom 18. Juni 2013 und 12. Dezember 2013 jeweils häusliche Krankenpflege nach § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) in Form von Blutzuckermessungen zweimal täglich/siebenmal wöchentlich, subkutanen Injektionen zweimal täglich/siebenmal wöchentlich und Herrichten der Medikamentengabe einmal wöchentlich zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung für die Zeiträume vom 1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2013 und 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2014 wegen Auffassungs- und Umstellungsschwierigkeiten, ICD-10-GM E11.40 G [Diabetes mellitus Typ 2 mit neurologischen Komplikationen, nicht näher bezeichnet], ICD-10-GM I25.11 G [chronische ischämische Herzkrankheit, Ein-Gefäß-Erkrankung], ICD-10-GM J18.9 Z [Zustand nach Pneumonie, nicht näher bezeichnet], ICD-10-GM J44.32 G [chronisch obstruktive Lungenkrankheit mit Emphysem], schwankende Blutzuckerwerte und reduziertem Allgemeinzustand.

Der Kläger beantragte am 20. Juni 2013 und 17. Dezember 2013 unter Vorlage der ärztlichen Verordnungen bei der Beklagten jeweils die Kostenübernahme der häuslichen Krankenpflege.

Die Beklagte übernahm die Kosten der Insulininjektionen zweimal täglich/siebenmal wöchentlich und des Richtens von Medikamenten einmal täglich/einmal wöchentlich im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 (Bescheid vom 20. Juni 2013, Bescheid vom 20. Dezember 2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. Dezember 2014).

Der ambulante Pflegedienst des Deutschen Roten Kreuzes Kreisverband E-Stadt führte auf der Grundlage der ärztlichen Verordnungen bei dem Kläger zweimal täglich/siebenmal wöchentlich die Blutzuckermessungen durch und stellte dem Kläger hierfür insgesamt 3.409,06 € für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 in Rechnung (Rechnungen vom 6. Januar 2015).

Mit Bescheid vom 20. Juni 2013 und Bescheid vom 20. Dezember 2013 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die Blutzuckermessungen und eine “Intensivierte Insulintherapie„ ab.

Hiergegen legte der Kläger am 19. Juli 2013 und 6. Januar 2014 jeweils Widerspruch ein. Er machte geltend, die Blutzuckermessungen seien medizinisch erforderlich, was durch die ärztlichen Verordnungen bestätigt würde. Der Beklagten stünde insoweit kein eigenständiges Prüfrecht zu.

Die Beklagte holte einen Arztbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. D. vom 16. Oktober 2013 und ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Hessen vom 28. November 2013 ein. Darin führte die Ärztin im MDK Dr. F. aus, eine Neuinsulineinstellung des Diabetes oder eine “Intensivierte Insulintherapie„ sei nicht ersichtlich. Eine “Intensivierte Insulintherapie„ sei bei den dokumentierten Beeinträchtigungen des Klägers auch ni...

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