Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Nachforderung. Verjährungsfrist. Annahme von (bedingtem) Vorsatz

 

Orientierungssatz

1. Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber, nach einer Lohnsteueraußenprüfung mit anschließender Lohnsteuernachforderung bei der zuständigen Einzugsstelle nachzufragen, ob sich beitragsrechtliche Konsequenzen hieraus ergeben. Es ist deshalb unzulässig, dass die Einzugsstelle der Arbeitgeberin bedingten Vorsatz deshalb unterstellt, weil diese sich nicht bei der zuständigen Einzugsstelle vergewissert hatte, dass Beitragspflicht nicht vorlag.

2. Vorsatz kann regelmäßig angenommen werden, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt (zB "Schwarzarbeit") überhaupt keine Beiträge entrichtet werden. Vorsatz liegt auch nahe, wenn Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte oder ohne weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht. Demgegenüber muss der Vorsatz bei weniger verbreiteten Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und die Beitragspflicht in komplizierten Vorschriften geregelt sind und nicht voll übereinstimmen, eingehend geprüft und festgestellt werden.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Beitragsnachforderungen.

Bei der Klägerin handelt es sich um die durch Umfirmierung zum 01.10.1995 entstandene Nachfolgerin der Firma V.-Sonnenschutz, Inhaber A. V. Eine Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamtes im April 1994 hatte dort ergeben, dass die Arbeitgeberin den Gesamtbetrag in Höhe von 17.789,04 DM schuldete (Nachforderungsbescheid vom 29.06.1995). Nachgefordert wurden die pauschale Lohnsteuer nach § 40a EStG für Aushilfslöhne, pauschale Lohnsteuer nach § 40b EStG für Zukunftssicherungsleistungen, pauschale Lohnsteuer für Arbeitgeberanteile zu vermögenswirksamen Leistungen sowie Sachgeschenke nach § 40 Abs 1 Nr 2 EStG und Lohnsteuer nach § 40 Abs 2 Nr 1 EStG für Mahlzeiten. Der größte Teil der Nachforderung bezog sich auf Zuschläge für Samstags- und Sonntagsarbeit, die steuerfrei ausbezahlt worden waren. Bei der Lohnsteueraußenprüfung konnten jedoch Nachweise über Dienstreisen und Auftragsbescheinigungen vorgelegt werden, die das Finanzamt veranlassten, den steuerpflichtigen Teil der Zuwendungen auf 50% zu schätzen. Der steuerpflichtige Teil dieser Zuwendungen belief sich danach im Jahr 1991 auf 18.404,00 DM, im Jahr 1992 auf 16.247,96 DM und im Jahr 1993 auf 6.595,00 DM. Für diese Teile wurde auf Antrag des Arbeitgebers die pauschale Lohnsteuer nach § 40 Abs 1 Nr 2 EStG erhoben.

Bei einer Betriebsprüfung im Frühjahr 1997 setzte die Beklagte beitragsrechtliche Konsequenzen aus dem Nachforderungsbescheid des Finanzamtes um. Sie erhob mit Bescheid vom 15.07.1997 Beiträge in einer Gesamthöhe von 17.565,38 DM. Es handelte sich im Einzelnen um Beitragsabrechnungen nach § 28f Abs 2 SGB IV wegen der Nachberechnung von Samstagszuschlägen (1991: 7.081,86 DM; 1992: 6.198,58 DM; 1993: 2.564,14 DM) und Umlagen (1994: 89,64 DM) sowie um Nachberechnungen wegen der Gewährung von vermögenswirksamen Leistungen (1992: 388,36 DM; 1993: 570,96 DM) und Sachgeschenken (1992: 671,84 DM). In dem Bescheid führte die Beklagte aus, dass Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjährten, in dem sie fällig geworden seien. Wegen der engen Anknüpfung des Beitragsrechts der Sozialversicherung an das Steuerrecht sei bei Beitragsansprüchen auf der Grundlage eines Lohnsteuerhaftungsbescheides der Finanzverwaltung von einem bedingten Vorsatz dann auszugehen, wenn der Beitragsschuldner eine Beitragsentrichtung aufgrund des Lohnsteuerhaftungsbescheides nicht vorgenommen oder es unterlassen habe, sich bei der zuständigen Einzugsstelle zu vergewissern, dass Beitragspflicht nicht vorgelegen habe.

Die Klägerin hat gegen den Beitragsbescheid Widerspruch eingelegt und die Verjährungseinrede erhoben. Es gelte allein die vierjährige Verjährungsfrist. Aufgrund der pauschalen Versteuerung der Zuwendungen sei sie davon ausgegangen, dass die Zuwendungen unter § 2 Abs 1 Satz 1 ArEV fielen, so dass sie gemäß § 17 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB IV nicht dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen und Sozialversicherungsbeiträge deshalb nicht zu entrichten seien. Diese Annahme mag zwar unrichtig gewesen sein, vermöge jedoch allenfalls den Vorwurf des (grob) fahrlässigen Handelns begründen, nicht aber eine bedingte Vorsätzlichkeit.

Die Beklagte wies den Rechtsbehelf der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.1998 zurück. Die Voraussetzungen des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV seien erfüllt, von bedingtem Vorsatz sei auszugehen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 29.04.1998 vor dem Sozialgericht erhobenen Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Prüfbescheid der LVA Sachsen vom 15.07.1997, Betriebsnummer: 0515 0 548, in Gestalt des Widerspruchsbescheides der LVA Sachsen vom 02.04.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage ...

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