Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Zahlung des Vertragspreises. keine automatische Befreiung von Sachleistungspflicht. Hilfsmittel-Richtlinie. Eingangsvoraussetzung für die Versorgung mit Hörhilfen. keine Obergrenze für Behinderungsausgleich. Unwirksamkeit von Festbetragsfestsetzung. gerichtliche Überprüfung

 

Orientierungssatz

1. Die Krankenkasse wird durch die Zahlung des Vertragspreises (Versorgungspauschale) nach § 127 Abs 4 und § 33 Abs 7 SGB 5 nicht von automatisch von ihrer Sachleistungspflicht frei. § 12 Abs 2 SGB 5 gilt nicht entsprechend.

2. Die Eingangsvoraussetzungen für die Versorgung mit Hörhilfen § 19 Abs 2 S 2 HilfsM-RL (juris: HilfsMRL) (Absinken der Verstehensquote für einsilbige Wörter auf dem besseren Ohr bei 65 dB ohne Störschall auf höchstens 80 % ohne Hörgerät) bilden keine Obergrenze für den mit Hörgeräten als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu erzielenden Behinderungsausgleich.

3. Die Unwirksamkeit der Festsetzung von Festbeträgen, die nicht nach Indikationsgruppen unterscheiden, beschränkt sich nicht auf bestimmte Gruppen Schwerhöriger, sondern erfasst die Festsetzung insgesamt. Die Gerichte haben nicht zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche schwerhörigen Versicherten zu dem festgesetzten Festbetrag ausreichend versorgt werden könnten. Zu einer geltungserhaltenden Reduktion, die auf eine Ersetzung des rechtswidrigen einheitlichen Festbetrages durch eine differenzierte Festsetzung hinausliefe, sind sie nicht befugt.

 

Tenor

I. Die Bescheide vom 14.09.2007 und vom 29.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.02.2008 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit Hörgeräten gemäß dem Kostenvoranschlag der K. GmbH & Co. KG vom 27.11.2006 zu versorgen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die eigenanteilsfreie Versorgung mit Hörgeräten. Gegenstand des Rechtsstreits sind die in einem Kostenvoranschlag der K. GmbH & Co. KG vom 27.11.2006 aufgeführten Hörhilfen:

Total 

Träger

Kunde 

Phonak Savia 311 dSZ

2.390,00 EUR

421,00 EUR

1.696,00 EUR

Maßohrstück

65,00 EUR

30,00 EUR

35,00 EUR

Reparaturkostenpauschale

209,00 EUR

209,00 EUR

0,00 EUR

KINDsavia H693

2.330,00 EUR

421,00 EUR

1.909,00 EUR

Maßohrstück

65,00 EUR

30,00 EUR

35,00 EUR

Reparaturkostenpauschale

209,00 EUR

209,00 EUR

0,00 EUR

Ges. Zuzahlung

0,00 EUR

- 10,00 EUR

10,00 EUR

Stereoabschlag 2. HG

- 86,00 EUR

- 86,00 EUR

0,00 EUR

insgesamt

5.182,00 EUR

1.224,00 EUR

3.958,00 EUR

Die 1955 geborene Klägerin ist beidseitig schwerhörig. Sie ist in einem Fitnessstudio als Bürokauffrau mit Publikumsverkehr beschäftigt. Die Klägerin ist wegen der Schwerhörigkeit und eines Hüftleidens anerkannt als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 70 und den Merkzeichen G und RF. Zuletzt war die Klägerin im Jahr 2002 mit neuen Hörgeräten versorgt worden.

Am 22.05.2007 verordnete Dipl.-Med. K. der Klägerin wegen Innohrschwerhörigkeit beidseits Hörhilfen; das bisherige Hörgerät sei nicht mehr ausreichend.

Mit am 23.05.2007 bei der Beklagten eingegangener Mitteilung vom 22.05.2007 zeigte der Hörgeräteakustiker, die K. GmbH & Co. KG, der Beklagten die Versorgung mit Hörhilfen an und stellte der Beklagten die vertragliche Versorgungspauschale von 648,40 EUR für die linke und 564,40 EUR für die rechte Seite, insgesamt 1.212,80 EUR, in Rechnung. In einer weiteren Mitteilung vom selben Tag bestätigte die Beklagte gegenüber dem Hörgeräteakustiker die Übernahme der Kosten in dieser Höhe.

Mit Bescheid vom 23.05.2007 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) übernahm die Beklagte zunächst die Kosten der Hörgeräteversorgung in Höhe von 1.212,80 EUR. In dem Bescheid heißt es unter anderem: "Für diesen Betrag ist der Akustiker verpflichtet, Ihnen zwei Hörgeräte entsprechend Ihrer Schwerhörigkeit eigenanteilsfrei anzubieten. Wählen Sie ein höherwertiges Hörgerät, können wir uns an den Mehrkosten oder späteren Reparaturen nicht beteiligen."

Der Hörgeräteakustiker bestätigte unter dem 26.07.2007, dass die Klägerin mit den Hörgeräten Phonak Savia 311dSZ und KINDsavia H693 versorgt worden sei. Das hierfür verwendete und von der Klägerin unterschriebene Formular enthielt folgende vorgedruckte Erklärung mit einem handschriftlich gesetzten Kreuz:

"Empfangsbestätigung der Versicherten

Ich bin über das Angebot einer eigenanteilsfreien Versorgung (mit Ausnahme der gesetzlich vorgeschriebenen 10 €) informiert worden.

[   ] Ich habe mich für eine Versorgung ohne Eigenanteil entschieden

[X] Ich habe mich für eine Versorgung mit Eigenanteil entschieden

[   ] Ich habe kein eigenanteilsfreies Versorgungsangebot gewünscht

Mit der Zahlung der Mehrkosten für das(die) von mir ausgewählte(n) Hörgerät(e) und den damit verbundenen Folgekosten bin ich einverstanden."

Das Hörprotokoll und die Anlage zum Anpassungsbericht geben die Ergebnisse der vergleichenden Hörgeräteanpassung hinsichtlich des Einsilben-Wortverstehens auf d...

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