Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sozialhilfe. Übernahme von Schuldnerberatungskosten für Erwerbstätigen nach § 11 Abs 5 S 3 SGB 12. Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Eingliederungsleistung in Form einer Schuldnerberatung gem § 16 Abs 1, Abs 2 S 1 und S 2 Nr 2 SGB 2 setzt die Inanspruchnahme zum Zweck der Eingliederung in das Erwerbsleben voraus; ein solcher Anspruch besteht nicht, wenn der Hilfebedürftige zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Beratungsleistung bereits erwerbstätig ist.

2. Der Anspruch auf Übernahme von Kosten der Schuldnerberatung eines erwerbstätigen Hilfebedürftigen, der keine Leistungen nach dem SGB 2 bezieht, ergibt sich aus § 11 Abs 5 S 3 Halbs 2 iVm S 2 SGB 12. Die Beratung in einer Schuldnerberatungsstelle stellt einen "anderen Fall" iS der Regelung dar.

3. Neben dem Sinn und Zweck der Norm sowie der Gesetzessystematik spricht für die Anwendung des § 11 Abs 5 S 3 Halbs 2 SGB 12 auf (Noch-)Erwerbstätige der im SGB 12 verankerte Grundsatz des Vorrangs der vorbeugenden Hilfe.

4. Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 Abs 1 SGB 12 gegenüber der von anderen Trägern erbrachten Sozialleistungen besteht lediglich insoweit, als die konkrete Leistung auch tatsächlich gewährt wird (hier: keine Beratungsleistung nach § 16 Abs 2 SGB 2).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 13.07.2010; Aktenzeichen B 8 SO 14/09 R)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung.

Die Klägerin hatte in den Jahren 2004 und 2005 erhebliche Schuldverpflichtungen. Infolge dieser Verbindlichkeiten hatte sie monatliche Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 874,00 Euro. Mit Hilfe ihres Einkommens als Produktionshelferin war die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer monatlichen Lebenshaltungskosten in der Lage, monatlich lediglich einen Betrag in Höhe von 419,52 Euro für die Tilgung ihrer Schulden aufzubringen. Infolgedessen setzte die Klägerin sich mit der Schuldnerberatungsstelle des Caritasverbandes S-W e.V. in Verbindung und ließ sich beraten.

Am 21. April 2005 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die vor der Antragstellung durchgeführte und weiter durchzuführende Schuldnerberatung. Nach der Antragstellung nahm die Klägerin weitere fünf Schuldnerberatungsstunden in Anspruch. Der Caritasverband stellte ihr pro Beratungsstunde 45,00 Euro in Rechnung.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2005 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung ab. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Personen, die wie die Klägerin erwerbsfähig seien, hätten grundsätzlich lediglich einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Sowohl § 5 Abs. 2 SGB II als auch § 21 SGB XII regelten, dass ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II einen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausschließe.

Am 9. Juni 2005 legte die Klägerin Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Zur Begründung führte sie aus, ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung ergebe sich sowohl aus dem SGB II als auch - unter Berücksichtigung einer drohenden Sozialhilfebedürftigkeit - aus dem SGB XII mit Blick auf dessen Auffangfunktion. Sie sei zwar derzeit erwerbstätig, der Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses sei jedoch aufgrund der Folgen der Überschuldung (Lohnpfändungen beim Arbeitgeber, drohender Verlust des Girokontos aufgrund von Kontopfändungen) gefährdet. Ein etwaiger Verlust der Erwerbstätigkeit habe den Eintritt der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zur Folge.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2005 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Über die Begründung im Ausgangsbescheid hinaus führte er aus, gemäß § 7 SGB II erhielten erwerbsfähige Personen lediglich Leistungen nach dem SGB II. Infolge der Regelung des § 21 SGB XII habe die Klägerin als Erwerbsfähige nach einem Verlust ihres Arbeitsplatzes keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Daher stünden ihr auch keine Leistungen nach § 11 Abs. 5 Satz 3 SGB XII zu.

Am 10. Oktober 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit dieser hat sie zunächst die Übernahme der Kosten für die Schuldnerberatung, die vor und nach dem Stellen ihres Antrags bei dem Beklagten entstanden sind, beantragt. Im Erörterungstermin vom 10. August 2006 hat die Klägerin die Klage insoweit zurückgenommen, als sie ursprünglich die Übernahme der Kosten für die Schuldnerberatung für den Zeitraum vor dem 20. April 2005 begehrt hatte.

Zur Begründung ihrer aufrecht erhaltenen Klage trägt sie vor, sie sei hoch verschuldet. Ihre Arbeitsstelle sei bedroht, da verstärkt Lohn- und Gehaltspfändungen beim Arbeitgeber eingingen. Zudem ließen ihre Leistungen am Arbeitsplatz nach, weil sie die ständige Konfrontation mit den Folgen der Überschuldung ...

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