Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Kostenentscheidung nach Erledigung. Kostenerstattung. Obliegenheit zur Sachstandsanfrage vor Erhebung einer Untätigkeitsklage. Ankündigung der Klageerhebung. mutwilliges Verhalten

 

Orientierungssatz

1. Im Falle der Untätigkeit eines Leistungsträgers gilt für die im Rahmen einer Untätigkeitsklage zu treffende Kostengrundentscheidung, dass den dortigen Antragsteller oder Leistungsempfänger grundsätzlich die Verpflichtung trifft, sich vor der Erhebung einer Untätigkeitsklage zur Vermeidung unnötiger Kosten und unnötiger Hinauszögerung des Verwaltungsverfahrens zunächst nochmals an den Leistungsträger zu wenden und deutlich zu machen, dass eine Entscheidung über einen Antrag oder Rechtsbehelfs noch aussteht und bei weiterem Ausbleiben einer Entscheidung mit einer Untätigkeitsklage zu rechnen sein wird. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn durch die Erhebung der Untätigkeitsklage aufgrund einer anwaltlichen Vertretung in nicht unerheblichen Umfang Kosten entstehen.

2. Mutwillig (hier: im Hinblick auf die Klageerhebung) handelt derjenige, der von vornherein den kostspieligeren Weg wählt und sich nicht so verhält, wie dies eine bemittelte Partei getan hätte, wenn sie in der gleichen Lebenssituation gewesen wäre und in verständiger Art und Weise ihre Belange vertreten wollte (vgl LSG Celle-Bremen vom 19.3.2014 - L 13 AS 233/12 = FEVS 66, 130).

3. Da mit der Untätigkeitsklage allein die Bescheidung des Antrags oder Rechtsbehelfs erreicht werden kann, würde ein verständiger Beteiligter schon wegen des geringen Zugewinns im Recht eine Anwaltskosten auslösende Untätigkeitsklage nur aus besonderen Gründen erheben.

4. Ein verständiger Beteiligter würde den kostengünstigeren und im Regelfall schnelleren Weg wählen, zunächst einmal bei dem Leistungsträger nachzufragen, wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist und gegebenenfalls mit Erhebung einer Untätigkeitsklage drohen.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 08.02.2023; Aktenzeichen 1 BvR 311/22)

 

Tenor

Der Antrag auf Erstattung der außergerichtlichen Kosten wird abgelehnt.

 

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Erstattung der außergerichtlichen Kosten durch die Beklagte ist zulässig, aber unbegründet.

Soweit ein Rechtsstreit anders als durch Urteil beendet wird, hat das Gericht auf Antrag eines Beteiligten durch Beschluss zu entscheiden, welcher Beteiligte die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Kosten einer Partei zu tragen hat (§ 193 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 SGG). Die insoweit zu treffende Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts und ist weder an die Anträge gebunden, noch vom Ausgang des Rechtsstreites abhängig (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 13. Aufl., § 193 Rdz. 12). Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist jedoch das Ergebnis des Rechtsstreites sowie der Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Auch kann für die Entscheidung herangezogen werden, ob Anlass zur Einleitung des Verfahrens gegeben wurde (Meyer - Ladewig, a.a.O., § 193 Rdz. 12b). Das Gericht muss dabei jedoch alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Es darf also nicht nur auf das Ergebnis des Rechtstreits abstellen. Auch ein obsiegender Beteiligter, kann nach dem Veranlassungsprinzip zur Kostenerstattung verurteilt werden. Das Gericht kann den Anlass für die Klageerhebung berücksichtigen, beispielsweise wenn die Beklagtenseite durch eine falsche Sachbehandlung Anlass für die Klage gegeben oder durch missverständliche Ausführungen zu Irritationen beigetragen, oder umgekehrt, ob die Klägerseite unnötige Kosten verursacht hat (Meyer - Ladewig, a.a.O., § 193 Rdz. 12b m. w. N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall die Beklagte nicht verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Eine Kostenerstattung entspräche im vorliegenden Fall nicht der Billigkeit. Da es sich bei der nach § 193 SGG zu treffenden Ermessensentscheidung um eine Billigkeitsentscheidung handelt, bei der alle Umstände des Einzelfalls in die Entscheidungsfindung einbezogen werden können, ist schon nicht vornehmlich auf den Erfolg der Klage abzustellen, sondern eine Gewichtung aller Kriterien vorzunehmen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v.19. März 2014 - L 13 AS 233/12 -; Juris).

Im Falle der erledigten Untätigkeitsklage kommt insoweit den Abwägungselementen der Veranlassung zur Klageerhebung im Hinblick auf die Frage der unnötigen Kostenverursachung überwiegende Bedeutung zu, wobei insbesondere die mangelnde Mutwilligkeit der Klageerhebung und die Beachtung der auch im Rahmen des Sozialrechtsverhältnisses zwischen Kläger- und Beklagtenseite geltenden allgemeinen Schadensminderungspflicht als für die Entscheidung ausschlaggebende Elemente anzusehen sind. Dies ergibt sich daraus, dass die formalen Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit einer Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 SGG bei deren Erhebung regelmäßig vorliegen und daher die Frage der Erfolgsaussichten im Rege...

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