Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Beweislast für die Unbilligkeit der anwaltlichen Gebührenbestimmung bei Erstattungspflicht eines Dritten. Prüfung durch den Urkundsbeamten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 Abs 1 S 1 SGG hat der Urkundsbeamte die Billigkeit der anwaltlichen Kostenbestimmung nicht zu unterstellen, wenn die Kosten von einem Dritten zu erstatten sind und der Dritte sich nicht äußert (entgegen BGH vom 20.1.2011 - V ZB 216/10 = ASR 2011, 211).

2. § 197 Abs 1 S 1 SGG verpflichtet den Urkundsbeamten, stets zu prüfen, ob die Kostenbestimmung wegen erheblicher Überschreitung der Toleranzgrenze offensichtlich unbillig ist (vgl SG Berlin vom 27.7.2011 - S 165 SF 6502/10 E - mit weiteren Nachweisen).

3. Diese Prüfung ist insbesondere dann erforderlich, wenn die nach den Kriterien des § 14 Abs 1 S 1 RVG nicht nachvollziehbare Kostenforderung vom Rechtsanwalt überhaupt nicht begründet oder zur vermeintlichen Begründung nur ein ständig benutzter Mustervordruck eingereicht wird.

 

Tenor

Die Erinnerung gegen den Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (UdG) vom 10. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ist endgültig.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für die Durchführung einer Untätigkeitsklage.

Die vier Erinnerungsführer (Kläger) erhoben Untätigkeitsklage, nachdem der Erinnerungsgegner (Beklagter) einen nicht rechtzeitig beschieden hatte (Aktenzeichen S 19 AS 437/09 des Sozialgerichts Braunschweig). Der Beklagte erließ den und erkannte sein Pflicht zur Tragung der Kosten dem Grunde nach an. Der Bevollmächtigte erklärte das Verfahren für erledigt, nahm das Kostenanerkenntnis an und machte folgende Kosten geltend:

Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis zum RVG (VV RVG)

120,00 €

Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG

108,00 €

Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziffer 3 VV RVG

  60,00 €

Entgelt für Post- und Telekommunikationsleistungen

nach Nr. 7002 VV RVG

  20,00 €

19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG

  58,52 €

Summe 

366,52 €.

Der Erinnerungsgegner erhielt die Erledigungserklärung und die Kostenrechnung zur Kenntnis und wurde nicht zur Stellungnahme aufgefordert. Er äußerte sich nicht.

Mit Beschluss vom 10. Juli 2009 setzte der UdG folgende Gebühren fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102, 1008 VV RVG

76,00 €

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

15,20 €

19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG

17,33 €

Summe 

108,53 €.

Die Bewilligung einer Terminsgebühr lehnte der UdG ab, weil sich das Verfahren bereits durch Erlass des Widerspruchsbescheides erledigt habe und die Annahme eines Anerkenntnisses weder notwendig gewesen sei noch vorgelegen habe. Hiergegen richtet sich die Erinnerung, mit der der Bevollmächtigte seine aufwendige Recherche in Rechtsprechung und Literatur und die Bedeutung der Angelegenheit hervorhebt. Der Erinnerungsgegner erhielt den Beschluss nur zur Kenntnis und nicht zur Stellungnahme übersandt und äußerte sich nicht.

II.

Die Erinnerung ist nach § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Die angegriffene Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Höhere als die von dem UdG festgesetzten Gebühren stehen den Erinnerungsführern für ihren Bevollmächtigten nicht zu.

Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko nach § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs.1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung hier unbillig.

1. Nach einer neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) soll die Billigkeit der anwaltlichen Gebührenbestimmung zwar in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG ein anspruchsbegründendes Merkmal der anwaltlichen Gebührenforderung sein, nicht jedoch im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. Hier sei vielmehr die Unbilligkeit eine Einwendung des Dritten. Folglich trage nicht der Rechtsanwalt, sondern der Dritte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es an der Billigkeit fehle (Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 216/10 - Rn 14 - zitiert nach Juris). Äußert sich der erstattungspflichtige Dritte nach Kenntnis der Gebührenforderung nicht, soll der Urkundsbeamte im Kostenfestsetzungsverfahren anscheinend jeder eigenen Prüfung enthoben und gezwungen sein, die geltend gemachten Kosten festzusetzen. Diese Auffassung überzeugt nicht.

1.1. Selbst wenn auch im sozialgerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 SGG der Verhandlungs- und Beibringungsgrundsatz und nicht der Unte...

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