Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen. Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung auf besonders schwer sehbeeinträchtigte Versicherte. keine erweiternde grundrechtskonforme Auslegung. Rechtfertigung des Leistungsausschlusses auch für behinderte Menschen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Begrenzung des Leistungsanspruchs bei der Versorgung mit Sehhilfen auf besonders schwer sehbeeinträchtigte Versicherte gem § 33 Abs 2 S 2 SGB 5 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Eine grundrechtskonforme Auslegung ist nicht geboten (entgegen SG Dresden vom 23.11.2011 - S 18 KR 597/08).

 

Orientierungssatz

Auch soweit § 33 Abs 2, Abs 3 S 1 SGB 5 iV mit § 12 Abs 1 S 2 HilfsM-RL (juris: HilfsMRL) zugleich behinderte Menschen im Sinne des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder im Sinne von Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention (juris: UNBehRÜbk) - (vgl hierzu im Einzelnen BSG vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R = BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69) treffen, sind diese Bestimmungen wegen des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung noch gerechtfertigt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.06.2016; Aktenzeichen B 3 KR 21/15 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten in Höhe von 140,- € (150,- € abzüglich Zuzahlung i.H.v. 10,- €), die ihm für die Ersatzbeschaffung einer Kontaktlinse entstanden sind.

Der 1941 geborene Kläger erlitt im Jahr 2007 eine Netzhautablösung im rechten Auge, die zur fast vollständigen Erblindung dieses Auges führte. Im Juni 2008 wurde das linke Auge des Klägers durch einen Metallsplitter verletzt, wodurch sich eine Hornhautnarbe mit Delle bildete und nunmehr ein irregulärer Hornhautastigmatismus vorliegt. Mit bester Korrektur wird auf dem rechten Auge eine Sehfähigkeit von 10 % erreicht. Bzgl. des linken Auges erreicht der Kläger mit Brillenkorrektur eine Sehschärfe von etwa 20 % bis 30 %. Bei Einsatz einer Kontaktlinse wird eine Sehschärfe von rund 120 % erzielt. Eine relevante Gesichtsfeldeinschränkung liegt nicht vor.

Aufgrund einer Verordnung des Facharztes für Augenheilkunde Dr. D. übernahm die Beklagte im Februar 2009 die Kosten einer Kontaktlinse in Einzelanfertigung in Höhe von 320,- € (abzüglich Zuzahlung i.H.v. 10,- €).

Nachdem diese Kontaktlinse zerbrochen war, beantragte der Kläger unter Vorlage einer weiteren Verordnung seines Augenarztes vom 18. September 2009 die Ersatzbeschaffung einer Kontaktlinse zum Preis von 150,- €. Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) stellte in einem Gutachten nach Aktenlage vom 3. Dezember 2009 fest, aufgrund der Einäugigkeit des Klägers komme zwar eine Versorgung mit einer Kunststoffbrille zu Lasten der Versichertengemeinschaft in Betracht, um der erhöhten Selbstverletzungsgefahr des faktisch Einäugigen bei Mobilität Rechnung zu tragen. Die Abgabe einer Kontaktlinse hingegen sei nach den Bestimmungen der einschlägigen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (HilfsM-RL) nicht vorgesehen.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Kontaktlinse ab und bot die Übernahme der Kosten für Kunststoffbrillengläser an.

Der Kläger erteilte am 7. Januar 2010 dem Contactlinseninstitut B. den Auftrag zur Fertigung einer Ersatzlinse und bezahlte am 21. Januar 2010 die Rechnung in Höhe von 150,- € in bar.

Den gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2010 nach Einholung eines Befundberichtes des Augenarztes Dr. D. und eines Zweitgutachtens des externen Sachverständigen Dr. R. (Leiter des Instituts für wissenschaftliche Kontaktoptik in U.) zurück. Zur Begründung führte sie aus: Voraussetzung der Verordnung und Abgabe von Kontaktlinsen sei eine schwere Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 gemäß der Klassifikation der World Health Organisation (WHO). Diese liege vor, wenn die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur auf dem besseren Auge maximal 0,3 betrage oder das beidäugige Gesichtsfeld kleiner oder gleich 10 Grad bei zentraler Fixation sei. Die Sehschärfenbestimmung habe beidseits bei bester Korrektur mit Brillengläsern oder möglichen Kontaktlinsen zu erfolgen. Da auf dem besseren Auges des Klägers ein Visus von 1,0 bestehe und keine Gesichtsfeldeinschränkung vorliege, komme eine Versorgung mit einer Kontaktlinse nicht in Betracht.

Zwei Versuche der Beklagten, den Widerspruchsbescheid mittels Einschreiben mit Rückschein zuzustellen, schlugen fehl. Eine Abholung der beim Postamt niedergelegten Sendungen durch den Kläger erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2010 übersandte die Beklagte dem Kläger mit einfacher Post eine Ausfertigung des Widerspruchsbescheides.

Am 1. November 2010 hat der Kläger Klage erhoben. Er träg...

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