Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen unter Berücksichtigung der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung

 

Orientierungssatz

Ob ein Versicherter gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen wegen Sehschwäche oder Blindheit entsprechend der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Klassifikation des Schweregrades der Sehbeeinträchtigung hat, bestimmt sich nach dem bestmöglichen Visus ohne die beantragte Sehhilfe, nicht nach dem Visus, der erst mit Hilfe der Sehhilfe erreicht werden könnte.

 

Tenor

I. Der Bescheid vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2008 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin bis zur Höhe der bis zum 31.12.2007 geltenden Festbeträge die für die Beschaffung zweier Kontaktlinsen gemäß Rechnung der Firma Optik K. vom 05.02.2007 bereits verauslagten Kosten zu erstatten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

III. Die Berufung ist zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für die Beschaffung einer Brille und zweier Kontaktlinsen.

Die 1985 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin leidet an starker Myopie mit einem Visus ohne Sehhilfen von weniger als 0,03.

Wegen des Verlustes einer Kontaktlinse ließ die Klägerin sich vom Augenoptikermeister K., M., im Februar 2007 auf eigene Rechnung ein Paar neuer formstabiler Kontaktlinsen anpassen (rechts: sphärische Korrektur - 24,00 dpt, zylindrische Korrektur - 1,00 dpt, Achslage 10°; links: sphärische Korrektur - 25,00 dpt, zylindrische Korrektur - 1,00, Achslage 5°). Unter dem 05.02.2007 stellte der Optiker ihr hierfür einen Betrag von je 130,00 EUR für die beiden Linsen und 20,00 EUR für die Refraktionsbestimmung, insgesamt 280,00 EUR, in Rechnung.

Bei dieser Gelegenheit ließ die Klägerin, die zuvor ausschließlich Kontaktlinsen getragen hatte, einer Empfehlung ihrer Augenärztin folgend, zusätzlich eine Brille anfertigen. Hierfür stellte der Optiker ihr unter dem 05.02.2007 einen Betrag von insgesamt 379,00 EUR in Rechnung.

Die Rechnungsbeträge hat die Klägerin inzwischen in Raten abgezahlt.

Am 05.09.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Brille und die Kontaktlinsen. Hierzu überreichte sie Verordnungen ihrer behandelnden Augenärztin Dr. med. U. vom 28.08.2007 für zwei Brillengläser und zwei formstabile Kontaktlinsen mit der Bestätigung des Optik-Meisterbetriebs K., die Sehhilfen abgegeben und angepasst zu haben, und der eigenen Empfangsbestätigung sowie die Bezifferung der von der Beklagten zu übernehmenden Kosten in einem nachträglichen "Kostenvoranschlag" des Optikers vom 28.08.2007.

Auf Ersuchen der Beklagten teilte Dr. med. U. unter dem 10.09.2007 mit, der Visus der Klägerin mit bestmöglicher Korrektur durch Brille und durch Linse belaufe sich rechts auf 0,6 und links auf 0,3.

Mit Bescheid vom 18.09.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Festbeträge für die Sehhilfen ab, weil keine medizinische Indikation für eine Kostenübernahme vorliege. Dies wäre nur der Fall, wenn auf Grund der Sehschwäche oder Blindheit auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung, d.h. eine Sehleistung mit bestmöglicher Korrektur von weniger als 0,3 auf beiden Augen, vorliegen würde. Dies sei bei einem bestmöglichen Visus von rechts 0,6 und links 0,3 nicht der Fall.

Ihren am 04.10.2007 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch vom 02.10.2007 begründete die Klägerin damit, bei ihr liege eine schwere Sehbeeinträchtigung vor. Sie könne sich die Sehhilfen nicht aus eigenen Mitteln leisten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2008 unter Hinweis auf die Beschränkung des Leistungsanspruchs auf zwingend medizinisch notwendige Ausnahmen gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz SGB V zurück. Nach der WHO-Klassifikation der Schweregrade liege eine schwere Sehbeeinträchtigung nur vor, wenn die Sehschärfe bei bestmöglicher Korrektur trotz Verwendung von Sehhilfen maximal 0,3 beträgt. Bei der Klägerin liege keine solche Ausnahme vor. Darüber hinaus habe die Klägerin die Sehhilfen bereits vor Antragstellung empfangen. Eine Kostenerstattung sei nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht möglich, weil sie sich die Sehhilfen bereits beschafft habe, obwohl es sich weder um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt noch die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Der Widerspruchsbescheid ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, wonach eine Klage zum Sozialgericht unter der Anschrift Löbtauer Straße 4, 01067 Dresden, einzulegen sei.

Hiergegen richtet sich die am 17.11.2008 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage vom 22.10.2008. Die Klägerin macht geltend, die Sehbehinderung sei mit einem Grad der Behinderung von 30 anerkannt. Die Br...

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