Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht. Spätaussiedler. Hinterbliebene mit eigener Rente. Begrenzung der Entgeltpunkte. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Regelungen des § 22b FRG sind verfassungsgemäß (vgl BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 118/00 R = BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2).

2. Aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten erfasst der in § 22b FRG verwendete Begriff Hinterbliebene. Die hier umgesetzte Auslegung folgt unmittelbar aus dem mit der Einführung gerade des § 22b FRG vollzogenen Systemwechsel hinsichtlich der Gewährung von Leistungen an FRG-Berechtigte. Es handelt sich selbst für Berechtigte aus eigenem Recht nicht mehr um Leistungen aus einer (fingierten) Rentenversicherung sondern um eine Fürsorgeleistung, die lediglich hinsichtlich der Berechnung des Leistungsbetrages auf eine rechtstechnische Fiktion einer Rentenversicherung zurückgreift und sich hinsichtlich der Leistungshöhe an der Eingliederungshilfe, auf dem Niveau einer bloßen Grundsicherung orientiert (vgl BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 118/00 aaO). Insofern ist die neue Formulierung durch den Gesetzgeber im Rahmen des RVNG nicht gelungen. Wollte man § 22b FRG so auslegen, dass er für Leistungen an Hinterbliebene keine Geltung beanspruchen könne, wäre der Systemwechsel gegenüber den Hinterbliebenen (mit Ausnahme des § 22 Abs 4 FRG) rechtspraktisch nicht vollzogen. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung, die durch den Wortlaut der Vorschrift nicht geboten erscheint, ist aus Sicht der Kammer verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen (entgegen BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 118/00 R aaO).

3. Eine Berücksichtigung von 25 Entgeltpunkten aus eigenem Recht sowie zusätzlich 15 Entgeltpunkten aus abgeleitetem Recht für die Hinterbliebenenrente ist nicht hinnehmbar. Mit dem Ergebnis dieser Lösung würde der überlebende Ehegatte hinsichtlich der von ihm bezogenen Gesamtaltersversorgung genau gleich behandelt mit einem lebenden Ehepaar mit maximalen FRG-Renten, allerdings bei Anwendung des reduzierten Rentenartfaktors für Entgeltpunkte. Diese Gleichbehandlung erscheint der Kammer wegen des ungleichen Sachverhaltes als unzulässige Benachteiligung der gelebten Ehe bzw als ungerechtfertigte Bevorzugung des Hinterbliebenen. Gerade rechtssystematische, nämlich verfassungsrechtliche Aspekte sprechen gegen eine solche Lösung (entgegen BSG vom 7.7.2004 - B 8 KN 10/03 R).

4. Az  des BVerfG: 1 BvR 2416/05

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Auszahlung aus dem der Klägerin nach dem Fremdrentengesetz zuerkannten Recht auf Witwenrente.

Die im September 1935 geborene Klägerin ist Witwe des im September 1925 geborenen und im Mai 2002 verstorbenen F W. Die Ehe war im März 1953 geschlossen worden. Die Eheleute reisten am 19. August 1997 gemeinsam in die Bundesrepublik ein. Beide verfügten nicht über bundesdeutsche Beitragszeiten. Die Klägerin ist anerkannte Spätaussiedlerin und bezieht von der Beklagten eine eigene Altersrente auf der Grundlage von 25 (einfachen) persönlichen Entgeltpunkten. Sie beantragte im Juli 2002 die Gewährung einer großen Witwenrente.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin dem Grunde nach große Witwenrente und verfügte, dass ab 1. Juni 2002 eine Auszahlung nicht zu erfolgen habe. Das Rentenkonto des verstorbenen Ehemannes weist 26,9851 knappschaftliche persönlichen Entgeltpunkte und weitere 2,7531 persönlichen Entgeltpunkte der Angestelltenrente aus.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 8. August 2002 unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. August 2001 (B 4 RA 118/00 R) Widerspruch ein.

Während des Widerspruchsverfahrens erließ die Beklagte den Bescheid vom 24. Oktober 2002. Dem Urteil des Bundessozialgerichts werde über den Einzelfall hinaus nicht gefolgt. Die Rente für Spätaussiedler sei der Höhe nach an der Eingliederungshilfe orientiert. Auch im allgemeinen Recht der gesetzlichen Rentenversicherung könne durch die Anrechnung der eigenen Rente eine Witwenrente auf den Betrag Null sinken. Darüber hinaus gebe es keine Gründe für eine Besserstellung beziehungsweise ungerechtfertigte Gleichbehandlung gegenüber von Ehepaaren oder anderen Alleinstehenden.

Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2004 zurück.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage vom 26. Februar 2004 ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt,

1.

den Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2002 in der Form des Bescheides vom 24. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2004 abzuändern,

2.

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin seit dem 1. Juni 2002 große Witwenrente auf der Grundlage von 26,9851 knappschaftlichen persönlichen Entgeltpunkten und weiteren 2,7531 persönlichen Entgeltpunkten (RA/RJ), hilfsweise von 15,0 knappschaftlichen persönlichen Entgeltpunkten zu gewähren,

3.

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Bek...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge