Rz. 15

Das schweizerische IPRG unterscheidet bei der Frage des anwendbaren Rechts zwischen Erb(folge)statut und Eröffnungsstatut:

Das Erbstatut bestimmt die materiell-rechtlichen Fragen und damit namentlich was zum Nachlass gehört, wer in welchem Umfang daran berechtigt ist und welche Rechtsbehelfe und Maßnahmen zulässig sind (Art. 92 Abs. 1 IPRG); es richtet sich nach dem gem. Art. 90 f. IPRG anwendbaren Erbrecht.
Demgegenüber regelt das Eröffnungsstatut die Durchführung der einzelnen Maßnahmen und damit die verfahrensrechtlichen Fragen, welche gem. Art. 92 Abs. 2 IPRG stets der lex fori und damit dem Schweizer Recht unterliegen.
 

Rz. 16

Die Unterscheidung zwischen Erbstatut und Eröffnungsstatut wirkt sich allerdings nur dann aus, wenn die zuständigen schweizerischen Gerichte oder Behörden zur Anwendung eines ausländischen Erbstatuts gehalten sind. Solchenfalls tritt aufgrund dieser Regelung eine Spaltung zwischen materiellem und formellem Recht ein.[26]

 

Rz. 17

Die sachliche Abgrenzung zwischen Eröffnungs- und Erbstatut erweist sich in der Praxis mitunter als schwierig. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass das Eröffnungsstatut nur die Verfahrensfragen i.e.S. umfasst, so dass das Erbstatut zu einer extensiven Anwendung gelangt.[27]

 

Rz. 18

Vom Erbstatut werden insbesondere folgende Bereiche erfasst:[28]

Gegenstand und Wert des Nachlasses;
Berechtigung am Nachlass im weitesten Sinn;[29]
Modalitäten des Erwerbs der Erbschaft;
Voraussetzungen, Inhalt und legitimationsrechtliche Wirkungen des Erbenscheins;
Voraussetzungen und Wirkungen von mit der Verwirklichung erbrechtlicher Ansprüche eng verknüpften Klagen und Maßnahmen;
Zulässigkeit und Frist der Ausschlagung;
rechtliches Schicksal der Nachlassschulden;
inhaltliche (nicht aber formelle) Aspekte der Willensvollstreckung, insb. die Frage, ob der Erblasser überhaupt befugt war, einen Willensvollstrecker einzusetzen, sowie die Rechte und Pflichten des Willensvollstreckers.
 

Rz. 19

Dem Eröffnungsstatut sind insbesondere folgende Aspekte unterworfen:

Siegelung und Inventarisierung der Erbschaft;
verfahrensrechtliche Aspekte von Klagen und Maßnahmen;
Eröffnung des Erbgangs, einschließlich Testamentseröffnung;
Ausstellung des Erbscheins (in formeller Hinsicht, nicht jedoch die materiell-rechtlichen Wirkungen des Erbscheins);
Verfahren der Ausschlagung und zuständige Behörden;
Verfahren zur Errichtung eines öffentlichen Inventars/einer Nachlassverwaltung;
Verfahren zur amtlichen Liquidation;
formelle, verfahrensrechtliche Aspekte der Willensvollstreckung.
 

Rz. 20

Infolge des Ineinandergreifens von formeller und materieller Regelung ist eine separate Betrachtung des einen ohne Berücksichtigung des jeweils anderen Aspekts oft nicht möglich.

[26] Heini, ZK-IPRG, Art. 92 IPRG Rn 2.
[27] Zum Ganzen Heini, ZK-IPRG, Art. 92 IPRG Rn 5 ff.
[28] Vgl. zur Abgrenzung Erbstatut vs. Eröffnungsstatut auch Schnyder/Liatowitsch, BSK-IPRG, Art. 92 IPRG Rn 5 ff. und Graham-Siegenthaler, PraxKomm, Anhang IPR Rn 53 ff.
[29] Nach der Botschaft (BBl 1983 I 390 f.) sind davon folgende Aspekte erfasst: Bestimmung der gesetzlichen Erben und deren Quoten, Erbrecht des Gemeinwesens, Pflichtteilsrecht, Enterbung, Arten der erbrechtlichen Verfügung, Auflagen und Bedingungen, Vermächtnisse, Stellung des Vermächtnisnehmers, Ersatzverfügung, Nacherbeneinsetzung, Erbverzicht, Voraussetzungen und Wirkungen der Erbschafts-, der Herabsetzungs- und der Ungültigkeitsklage, Erbfähigkeit, Erbunwürdigkeit, Erleben des Erbgangs, Ausschlagung, Reihenfolge des Antragsrechts, erbrechtlicher Unterhaltsanspruch der Erben und der zur Zeit des Todes im Haushalt des Erblassers lebenden Personen, Bildung der Teile, Ausgleichung, Verträge unter Erben über Erbteile, Haftung, Gewährleistungspflicht.

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