Rz. 22

Der Haftungsanspruch setzt wegen des Inhalts der Haftung als Einstehenmüssen für fremde Schuld begrifflich das Bestehen eines unmittelbar oder mittelbar (bei Haftung für Haftung; vgl. Rz. 2) zugrunde liegenden Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis voraus.[1] Insoweit ist eine Abhängigkeit des Haftungsanspruchs, also seine Akzessorietät, gegeben. Der Haftungsanspruch kann daher frühestens gleichzeitig mit dem Steueranspruch entstehen.[2] Das gilt auch für die Abzugssteuern.[3] Nicht erforderlich ist jedoch, dass der zugrunde liegende Anspruch auch festgesetzt worden ist (vgl. Rz. 24). Ist er jedoch festgesetzt oder ist im Festsetzungsverfahren sein Nichtbestehen festgestellt worden, so muss das als Entscheidung über das Entstehen auch für den Haftungsanspruch Bedeutung haben (vgl. Rz. 24–26). Weitere Abhängigkeiten des Haftungsanspruchs vom zugrunde liegenden Anspruch ergeben sich aus dem Gesamtschuldverhältnis, in dem sie nebeneinander stehen, sowie aus den dieses ergänzenden Vorschriften des § 191 Abs. 5 AO (vgl. Rz. 27). Im Übrigen sind Haftungsanspruch und zugrunde liegender Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis grundsätzlich unabhängig voneinander. Es besteht also nur in einem beschränkten Bereich Akzessorietät. Bei der Sachhaftung[4] ist eine Akzessorietät nicht immer gegeben. Auch kann hier der Haftungsanspruch vor der Steuerschuld entstehen.[5] Zum Fortbestand des Haftungsanspruchs bei Änderungen des zugrunde liegenden Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis vgl. Rz. 27.

[2] Jatzke, in Gosch, AO/FGO, Vor §§ 69–77 AO Rz. 3.
[3] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor §§ 69–77 AO Rz. 16.
[5] S. dazu § 76 AO Rz. 4; vgl. auch Jatzke, in Gosch, AO/FGO, Vor §§ 69–77 AO Rz. 4.

7.1 Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis

 

Rz. 23

Die Haftung setzt begrifflich zwingend die Existenz einer fremden Leistungspflicht voraus.[1] Deswegen kann der Haftungsanspruch grundsätzlich frühestens erst mit der Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen. Eine gleichzeitige Entstehung beider Ansprüche ist nicht erforderlich, in der Praxis auch vielfach nicht gegeben, bei einigen Haftungsregelungen, z. B. in den Fällen der Einzelrechtsnachfolge[2], auch gar nicht möglich. Bei Erfüllung der übrigen Haftungsvoraussetzungen muss also der zugrunde liegende Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bereits entstanden sein. Dies gilt auch für die Abzugssteuern wie z. B. für die LSt, KapESt und die frühere KSt-Anrechnung sowie die umsatzsteuerlichen Abzugsbeträge nach den früheren §§ 51ff. UStDV, auch wenn hier regelmäßig der Steuerschuldner nicht selbst in Anspruch genommen wurde. Anders ist jetzt die Rechtslage nach § 13b UStG, der keine Haftung vorsieht, sondern einen Austausch des Steuerschuldners durch die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers.

§ 76 Abs. 2 AO sieht hiervon für die Sachhaftung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren insofern ausdrücklich eine Ausnahme vor, als die Waren bereits mit Beginn ihrer Herstellung der Sachhaftung unterworfen sind, auch wenn die Verbrauchsteuer noch nicht entstanden sein sollte. Allerdings besteht in diesem Zeitpunkt noch kein Verwertungsrecht, da dieses vom Bestand der Steuerschuld abhängig ist.

7.2 Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis

 

Rz. 24

Für die Entstehung und Existenz des Haftungsanspruchs ist die Festsetzung des zugrunde liegenden Anspruchs (beim Säumniszuschlag unterbleibt diese regelmäßig schon wegen § 254 Abs. 2 S. 1 AO) nicht erforderlich. Dies kann aus § 191 Abs. 3 S. 4 und Abs. 5 AO abgeleitet werden. Ist in einem Steuerfall der Steuerschuldner nicht mehr greifbar, so bedarf es keines formellen Steuerbescheids an ihn, bevor ein Haftender durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen wird. Deswegen schadet es auch nicht, wenn bei einer Festsetzung der Steuer dies vorläufig[1] oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung[2] geschehen ist.[3] Auch setzt bei den Realsteuern die Haftung nicht den vorigen Erlass eines Steuermessbescheids voraus.[4]

 

Rz. 25

Für die Höhe der Haftungsinanspruchnahme hat allerdings eine tatsächlich geschehene Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis Bedeutung. Die Höhe des Haftungsanspruchs richtet sich nämlich nach dem kraft Gesetzes entstandenen materiellen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Haftungsvorschrift kann hier eine Einschränkung, nicht jedoch eine Ausdehnung vornehmen. Da der Haftungsanspruch danach nicht höher als der zugrunde liegende Anspruch sein kann, muss die durch die Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis zum Ausdruck gekommene offiziell ermittelte Höhe dieses Anspruchs auch die Grenze für die Haftungsinanspruchnahme bilden. Ob dem Steuerbescheid insoweit sogar die Funktion eines Grundlagenbescheids zugebilligt werden kann[5], kann dahingestellt bleiben.[6] In jedem Fall ergibt sich aus der Akzessorietät des Haftungsanspruchs das Verbot einer höheren Haftungsinanspruchnahme als die vorhandene Steuerfes...

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