Rz. 5

Während die RAO in §§ 109121 RAO, ergänzt durch § 97 Abs. 2 RAO, die gesamten Haftungsregelungen zusammengefasst hatte, war es das Bestreben des Gesetzgebers, in der AO die einzelnen Teile des Haftungsrechts systematisch klarer in denjenigen Teilen und Abschnitten zu behandeln, in die sie ihrem Inhalt nach gehören. In der AO befinden sich die materiellen Haftungsvorschriften[1] und die Duldungspflicht[2] im 2. Teil (Steuerschuldrecht), die Verfahrensvorschriften im 4. und 5. Teil, und zwar die Festsetzungsregelungen der §§ 191, 192 AO im 4. Teil (Durchführung der Besteuerung) und die Regelungen über das Erheben[3] im 5. Teil (Erhebungsverfahren). Die Übernahme nichtsteuerlicher Haftungsregelungen durch § 191 AO (vgl. Rz. 11) führt dabei wieder zu einer Vermischung von materiellem Haftungs- und Haftungsverfahrensrecht.

 

Rz. 6

Bei der systematischen Aufteilung sind außerdem einige Fehler unterlaufen. Die früher in § 118 RAO geregelte örtliche Zuständigkeit ist bei ihr völlig verloren gegangen. Diese Lücke ist durch die Ersatzzuständigkeit des § 24 AO zu schließen. Weiter enthält § 76 Abs. 5 AO im Bereich der materiellen Haftungsvorschriften systemwidrig eine Verfahrensregelung.[4]

Unklarheiten haben sich in mehrfacher Hinsicht auch aus der Fassung des § 191 AO ergeben. Der Gesetzgeber hat bewusst keine materiell-rechtliche Transformationsvorschrift in die AO aufgenommen, die entsprechend §§ 113, 120 RAO nichtsteuerlichen Haftungsvorschriften auch einen steuerlichen Inhalt verschaffen.[5] § 191 AO schafft auch nicht die materiell-rechtliche Grundlage für die Haftung, sondern setzt sie voraus, ob sie nun steuerrechtlicher oder zivilrechtlicher Herkunft ist.[6] Die Transformation der nicht steuerlichen Haftungs- und Duldungsvorschriften geschieht jetzt unmittelbar durch Zulassung des Haftungs- bzw. Duldungsbescheids auch für die nichtsteuerlichen Haftungsvorschriften materiell-rechtlicher Art.[7] Es ist umstritten, aber auch eine weitgehend theoretische Frage, ob diese Haftungsvorschriften überhaupt nicht[8], unmittelbar vor oder erst bei der Übernahme durch Haftungs- oder Duldungsbescheid einen steuerrechtlichen, also öffentlich-rechtlichen Charakter bekommen, ob § 191 Abs. 1 AO also auch einen materiell-rechtlichen Teilinhalt hat. Schließlich ist auch unklar, ob die Vorschrift des § 191 Abs. 1 AO, die wörtlich nur von der Haftung für Steuern spricht und schon wegen § 1 Abs. 3 S. 2 AO nicht auf steuerliche Nebenleistungen ausgedehnt werden dürfte[9], für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis herangezogen werden darf.[10] Die Haftung für Haftungsschulden kann unstrittig nach § 191 AO geltend gemacht werden.[11]

[4] Ebenso Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor §§ 69–77 AO Rz. 2.
[5] Vgl. BT-Drs. VI/1982, 159f.
[8] So Halaczinsky, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 191 Rz. 3.
[9] Vgl. § 1 AO Rz. 8.
[10] Vgl. § 191 AO Rz. 7, 10.

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