Rz. 52

Im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren kommt die Anwendung der VV 5115 ebenfalls zum Zuge. Voraussetzung für die Zusätzliche Gebühr nach VV 5115 ist, dass die anstehende Hauptverhandlung entbehrlich wird.

 

Rz. 53

Wird das gerichtliche Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung nicht nur vorläufig eingestellt und wirkt der Anwalt daran mit, so erhält er die Zusätzliche Gebühr. Auf den Zeitpunkt der Einstellung kommt es – im Gegensatz zur Rücknahme des Einspruchs – nicht an.

 

Rz. 54

Nach zutreffender Ansicht kann der Verteidiger eine Zusätzliche Gebühr nach VV 5115 auch dann verdienen, wenn bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, in der das Verfahren ausgesetzt worden ist. In diesem Fall muss mit der Hauptverhandlung wieder erneut begonnen werden. Erübrigt sich dieser erneute Hauptverhandlungstermin unter Mitwirkung des Verteidigers, so entsteht die Zusätzliche Gebühr der VV 5115. Für das Strafverfahren hat der BGH[44] dies ausdrücklich klargestellt. Insoweit kann in Bußgeldsachen nichts anderes gelten. Ältere Instanzrechtsprechung vor der Entscheidung des BGH kann daher an sich nicht mehr verwertet werden.

 

Beispiel: Aufgrund eines Beweisantrages in der Hauptverhandlung muss ein weiterer Zeuge geladen werden. Da dieser nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 71 OWiG, § 229 StPO zur Verfügung steht, muss die Hauptverhandlung von neuem begonnen werden. Der Verteidiger erreicht nunmehr, dass das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung endgültig eingestellt wird.

Zu rechnen ist wie folgt (ausgehend von einem Bußgeld von 60 EUR bis 5.000 EUR):

 
1. Grundgebühr, VV 5100[45]   110,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 5109   176,00 EUR
3. Terminsgebühr, VV 5110   280,50 EUR
4. Zusätzliche Gebühr, VV 5115 i.V.m. VV 5109   176,00 EUR
5. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 762,50 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   144,88 EUR
Gesamt   907,38 EUR
 

Rz. 55

Da die erneute Hauptverhandlung nach VV 5107, 5109, 5111 eine erneute Terminsgebühr auslösen würde, ist VV 5115 auch dann anzuwenden, wenn es zu der erneuten Hauptverhandlung nicht mehr kommt.[46] Wird in diesem Stadium das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt, so erhält der Anwalt auch hier eine Zusätzliche Gebühr[47] (zur vergleichbaren Rechtslage siehe auch VV 4141[48]). Jede weitere neu angesetzte Hauptverhandlung einschließlich ihrer Vorbereitung verursacht ebenso Zeitaufwand und Kosten wie die erste Hauptverhandlung. Daher muss die Tätigkeit des Anwalts genauso honoriert werden, wie wenn er die Durchführung des ersten Hauptverhandlungstermins entbehrlich gemacht hätte.

 

Rz. 56

Wird durch die Tätigkeit des Anwalts allerdings nur ein Fortsetzungstermin innerhalb der Frist des § 71 OWiG, § 229 StPO entbehrlich, so ist VV 5115 nicht anzuwenden. Dem steht die Einheit der Hauptverhandlung entgegen. Der erste Verhandlungstermin und die Fortsetzungstermine bilden eine einheitliche Hauptverhandlung.[49]

 

Rz. 57

Wird das Verfahren erst in der Hauptverhandlung eingestellt, steht dem Anwalt nie die Zusätzliche Gebühr nach VV 5115 zu, selbst dann nicht, wenn er an der Hauptverhandlung nicht teilnimmt.

 

Beispiel: Der Verteidiger legt durch seine Einlassungsschrift den Grundstein dafür, dass das Bußgeldverfahren in der Hauptverhandlung, an der er nicht teilnimmt, eingestellt wird.

Eine Gebühr nach VV 5115 entsteht jetzt nicht.

[44] BGH 14.4.2011 – IX ZR 153/10, AGS 2011, 419 = RVGreport 2011, 384 = NJW 2011, 3166.
[45] Sofern nicht schon im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde verdient (Anm. Abs. 1 zu VV 5100).
[46] Burhoff/Volpert, VV 5115 Rn 16 i.V.m. VV 4141 Rn 21; zum früheren Recht: LG Bremen JurBüro 1990, 873; LG Saarbrücken BRAGOreport 2001, 122 m. Anm. N. Schneider; a.A. AG München AGS 2010, 599 = DAR 2011, 57; LG Detmold AGS 2009, 588 = RVGreport 2010, 107 = NStZ-RR 2010, 64.
[47] AG Berlin Tiergarten AGS 2007, 140; LG Oldenburg RVGreport 2011, 337 = VRR 2011, 399; unzutreffend LG Limburg 24.10.2011 – 1 Qs 145/11; LG Detmold AGS 2009, 588 = RVGreport 2010, 107 = NStZ-RR 2010, 64; AG Hanau 8.11.2016 – 55 OWi 2255 Js 21203/15, AGS 2017, 31.
[48] Siehe insoweit BGH 14.4.2011 – IX ZR 153/10, AGS 2011, 419 = RVGreport 2011, 384 = NJW 2011, 3166.
[49] LG Limburg 24.10.2011 – 1 Qs 145/11; OLG Köln AGS 2006, 339 m. Anm. Madert (zur vergleichbaren Situation in Strafsachen).

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