I. Allgemeines

 

Rz. 118

Die Übersendung der Handakten an einen anderen Rechtsanwalt zählt nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 17 für den Verfahrensbevollmächtigten grundsätzlich zur Instanz und löst keine gesonderten Gebühren aus. Eine Ausnahme hiervon regelt die Anm. zu VV 3400, wenn der Anwalt einer unteren Instanz dem Rechtsmittelanwalt die Handakten übersendet und dies auftragsgemäß mit gutachterlichen Äußerungen verbindet. Diese Tätigkeit zählt bereits zum Rechtsmittelverfahren und löst daher eine gesonderte Vergütung nach Anm. zu VV 3400 aus.

II. Persönlicher Anwendungsbereich

 

Rz. 119

Die Vorschrift der Anm. zu VV 3400 gilt für jeden Rechtsanwalt, der in einer unteren Instanz tätig war und der dem Rechtsmittelanwalt die Handakten übersendet. Die Vorschrift ist nicht auf den vorinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten beschränkt. Sie findet daher auch Anwendung, wenn der vorinstanzliche Verkehrsanwalt oder lediglich ein vorinstanzlich beratender Anwalt die Handakten an den Rechtsmittelbevollmächtigten übersendet.

 

Rz. 120

Die Vorschrift ist auch nicht auf den erstinstanzlich tätigen Anwalt beschränkt. Sie gilt auch für den Berufungsanwalt, wenn er die Handakten an den Revisionsanwalt weiterleitet.

 

Rz. 121

Die Vorschrift ist auch dann noch anwendbar, wenn der übersendende Anwalt bereits als Verfahrensbevollmächtigter im Rechtsmittelverfahren beauftragt war.[93]

 

Beispiel: Die erstinstanzlich unterlegene Partei beauftragt ihren erstinstanzlichen Anwalt, Berufung einzulegen. Bevor die Berufung eingelegt wird, überlegt es sich die Partei anders und bittet den Anwalt, die Handakten zusammen mit einer gutachterlichen Stellungnahme einem anderen Anwalt zu übersenden, der das Berufungsverfahren durchführen soll.

Der erste Anwalt erhält eine 1,1-Verfahrensgebühr (VV 3201 Nr. 1) sowie eine 1,0-Verfahrensgebühr (Anm. zu VV 3400 i.V.m. VV 3200); insgesamt gemäß § 15 Abs. 6 nicht mehr als eine 1,1-Gebühr. Bei unterschiedlichen Gebührensätzen ist darüber hinaus auch § 15 Abs. 3 zu beachten.

[93] A.A. Hartmann/Toussaint, KostR, VV 3400 Rn 43.

III. Sachlicher Anwendungsbereich

1. Verfahren nach VV Teil 3

 

Rz. 122

Auch die Gebühr nach Anm. zu VV 3400 gilt nur für Angelegenheiten des VV Teils 3. Insoweit gilt das Gleiche wie zu VV 3400 (siehe Rdn 16 ff.).

2. Übersendung an einen Anwalt höherer Instanz

 

Rz. 123

Voraussetzung für die Anwendung der Anm. zu VV 3400 ist, dass der Anwalt die Handakten mit gutachterlichen Äußerungen an den Bevollmächtigten eines höheren Rechtszugs übersendet. Die Versendung an einen Anwalt gleicher Instanz ist nicht nach Anm. zu VV 3400 zu vergüten. Soweit der Anwalt hier die Übersendung mit gutachterlichen Äußerungen verbindet, ist seine Tätigkeit durch die Verfahrensgebühr abgegolten (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 17).

 

Beispiel: Der Rechtsstreit wird vom LG Bielefeld an das LG Bremen verwiesen. Der Bielefelder Anwalt übersendet die Akten an den neuen Bremer Prozessbevollmächtigten.

Der Bielefelder Anwalt erhält für die Übersendung der Handakten keine gesonderte Vergütung. Seine Tätigkeit wird vielmehr nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 17 durch die Verfahrensgebühr abgegolten.

 

Rz. 124

Der Anwalt der höheren Instanz muss Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigter sein. Das ergibt sich aus der Verweisung auf die Verfahrensgebühr. Nicht erforderlich ist, dass der empfangende Anwalt das Rechtsmittel auch einlegt oder durchführt. Dies hat allenfalls einen Einfluss auf die Höhe der Gebühr (siehe Rdn 136 ff.). Es reicht aus, dass er mit der Durchführung des Rechtsmittels beauftragt war und sich der Auftrag vorzeitig erledigt hat.

 

Rz. 125

Unter "höherer Instanz" ist nicht nur die Berufungs- oder Revisionsinstanz zu verstehen, sondern auch die Beschwerdeinstanz.[94]

 

Rz. 126

Nicht erforderlich ist, dass die Akten an den Anwalt der nächsten Instanz übersandt werden. Die Gebühr der Anm. zu VV 3400 fällt auch dann an, wenn der erstinstanzliche Anwalt seine Handakten vom Berufungsanwalt zurückerhalten hat und sie dann zusammen mit gutachterlichen Äußerungen dem Revisionsanwalt übersendet.

[94] Riedel/Sußbauer/Schütz, RVG, VV 3400–3406 Rn 20.

3. Übersendung der Handakten

 

Rz. 127

Der Rechtsanwalt muss seine Handakten übersenden, die Übersendung anderer Akten, etwa der Gerichtsakten, die er zur Einsichtnahme angefordert hatte, reicht nicht aus.[95] Der Anwalt muss allerdings nicht seine kompletten Handakten übersenden. Es genügt, dass er Teile oder Kopien seiner Handakten übersendet, sofern sich der Anwalt des höheren Rechtszugs hieraus ein umfassendes Bild vom Verfahrensablauf der unteren Instanz machen kann.[96]

[95] Hartmann/Toussaint, KostR, VV 3400 Rn 38 ff.
[96] Hansens, BRAGO, § 52 Rn 28.

4. Gutachterliche Äußerungen

 

Rz. 128

Die Übersendung der Handakten muss mit gutachterlichen Äußerungen verbunden sein. Ein ausführliches Gutachten über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels ist nicht erforderlich. Umgekehrt genügt die bloße Wiedergabe des Sachverhaltes nicht.[97] Die Ausführungen müssen ein Mindestmaß an eigener Stellungnahme in rechtlicher Hinsicht enthalten.

 

Rz. 129

Abzugrenzen ist die Gebühr der Anm. zu VV 3400 von den Gebühren nach § 34 Abs. 1 und VV 2100 ff. Die Anm. zu VV 3400 geht den Vorschriften der § 34 Abs. 1 und VV 2100 ff. vor und schließt diese aus. ...

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