Rz. 1

Nach § 537 ZPO kann ein erstinstanzliches Urteil, das nur teilweise angegriffen wird, vom Berufungsgericht für (unbedingt) vorläufig vollstreckbar erklärt werden, soweit es durch die Berufungsanträge nicht angefochten wird. Die gleiche Möglichkeit besteht für Berufungsurteile, soweit sie nicht durch die Revision angefochten werden (§ 558 ZPO). In Familienstreitsachen sind die §§ 537, 558 ZPO nicht anwendbar, da weder in § 113 Abs. 1 noch in § 117 FamFG darauf verwiesen wird. Daher scheidet die Anwendung der VV 3329 in Familiensachen aus.

 

Rz. 2

Der Sinn und Zweck der unbedingten Vollstreckbarerklärung liegt darin, dem Gläubiger schon vor Eintritt der Rechtskraft die Zwangsvollstreckung zu erleichtern, soweit das vorinstanzliche Urteil vom Schuldner nicht angefochten wird. Ohne die unbedingte Vollstreckbarerklärung nach §§ 537, 558 ZPO müsste der Gläubiger anderenfalls auch zur Vollstreckung aus dem nicht angefochtenen Teil des Urteils eine vom Gericht nach § 709 ZPO angeordnete Sicherheit leisten oder könnte durch eine vom Schuldner gestellte Sicherheitsleistung an der Vollstreckung gehindert werden (§§ 711, 708 Nr. 4 bis 11, 712 ZPO). Die Vollstreckungsschutzanordnungen nach den §§ 709 ff. ZPO bleiben nämlich auch dann für das gesamte Urteil bestehen, wenn es nur teilweise angefochten wird. Der Suspensiveffekt eines Rechtsmittels erstreckt sich nicht nur auf den angefochtenen Teil, sondern auf das gesamte vorinstanzliche Urteil, auch soweit es nicht angefochten wird.[1] Dies hat letztlich seinen Grund darin, dass auch nach Ablauf der Berufungs- oder Revisionsbegründungsfrist das Rechtsmittel erweitert werden kann und der Gegner die Möglichkeit hat, Anschlussrechtsmittel einzulegen.

 

Beispiel: Eingeklagt waren 10.000 EUR. Der Beklagte hatte eine Widerklage in Höhe von 6.000 EUR erhoben. Das Gericht hat auf die Klage hin den Beklagten verurteilt, 8.000 EUR an den Kläger zu zahlen und auf die Widerklage hin den Kläger, 2.000 EUR an den Beklagten zu zahlen. Im Übrigen sind Klage und Widerklage abgewiesen worden. Das Urteil ist für beide Parteien nur gegen Sicherheitsleistung vollstreckbar. Gegen die Verurteilung in Höhe eines Betrages von 5.000 EUR legt der Beklagte Berufung ein.

Obwohl das erstinstanzliche Urteil nur vom Beklagten hinsichtlich seiner Verurteilung in Höhe von 5.000 EUR angegriffen wird, verhindert es, dass hinsichtlich der nicht angegriffenen Teile (Verurteilung des Beklagten zu weiteren 3.000 EUR; Verurteilung des Klägers zu 2.000 EUR) Rechtskraft eintritt. Dies wiederum beruht darauf, dass der Beklagte sein Rechtsmittel gegebenenfalls erweitern und sich gegen seine Verurteilung in Höhe der gesamten 8.000 EUR wenden kann.[2] Umgekehrt kann der Kläger bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift Anschlussberufung einlegen (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO) und sich gegen seine Verurteilung zur Zahlung der 2.000 EUR wehren. Um ohne Sicherheitsleistung vollstrecken zu können, müssen also der Kläger und der Beklagte nach § 537 ZPO beantragen, dass das Urteil, soweit es nicht angegriffen ist, für vorläufig vollstreckbar erklärt wird.

 

Rz. 3

Die Entscheidung über die unbedingte Vollstreckbarerklärung trifft das Rechtsmittelgericht durch Beschluss nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist. Eine mündliche Verhandlung ist nicht vorgesehen (§§ 537 Abs. 1 S. 2, 558 S. 2 ZPO), gleichwohl aber möglich. Aufgrund des Beschlusses des Rechtsmittelgerichts kann dann der jeweilige Gläubiger ohne jegliche Einschränkung die Zwangsvollstreckung aus dem vorinstanzlichen Urteil betreiben.

[1] BGH 12.5.1992 – VI ZR 118/91, NJW 1992, 2296; OLG Hamm NJW-RR 1990, 1470.
[2] Zöller/Heßler, § 520 Rn 31.

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