Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Abgrenzung der Arbeitsunfähigkeit von der Berufsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung aufgrund besonderer Umstände am Arbeitsplatz (Mobbing) begründet keine zur Beendigung der Krankentagegeldversicherung führende Berufsunfähigkeit, wenn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie für die letzte Arbeitstätigkeit die volle Leistungsfähigkeit gegeben ist.

2. Das zugrunde zu legende Verständnis des Versicherungsfalls in der Krankentagegeldversicherung bedeutet trotz der Maßgeblichkeit der konkreten Ausprägung der beruflichen Tätigkeit keine (ungerechtfertigte) Gleichsetzung dieses Begriffs mit dem des Arbeitsplatzes.

 

Verfahrensgang

LG Flensburg (Urteil vom 25.05.2022; Aktenzeichen 4 O 196/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg vom 25. Mai 2022 unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Versicherungsverhältnis (Versicherungsnr. KV ...) zwischen den Parteien über das Krankentagegeld im Tarif ... nicht zum 28. August 2020 endete, sondern zu unveränderten Konditionen fortbesteht.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.598,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. Oktober 2020 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, zu Händen der Prozessbevollmächtigten des Klägers 1.437,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. August 2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Krankentagegeldversicherung und daneben die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag unverändert fortbesteht.

Der 1960 geborene Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung, verbunden mit einer Krankentagegeldversicherung (Tarif ...) mit einem versicherten Krankentagegeld von 165,- EUR ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit. In den Vertrag wurden die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die den Musterbedingungen MB/KT 2009 des Verbandes der privaten Krankenversicherung entsprechen, einbezogen.

§ 1 AVB (Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes lautet auszugsweise:

"1. Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er zahlt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang.

2. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. (...)

3. Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht."

§ 15 Nr. 1 lit. b AVB bestimmt, dass das Versicherungsverhältnis unter anderem im folgenden Fall endet:

"mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50% erwerbsunfähig ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit; (...)".

Der Kläger ist seit 1989 in der Verwaltung des X bzw. des Rechtsvorgängers beschäftigt. Ab dem Jahr 2009 war er Leiter der Finanzabteilung; die von ihm dabei ausgeübten Tätigkeiten hat er in einem Fragebogen der Beklagten, auf dessen Inhalt (Bl. 99-102 GA) in Bezug genommen wird, näher beschrieben. Der Kläger war zuständig für die Finanzen der Y und des X, die Erstellung des Haushaltsplanes und dessen Vorstellung in den ... Gremien sowie die Ausführung und Überwachung des Haushaltsplanes, des Weiteren für die Erstellung des Jahresabschlusses und der mittelfristigen Finanzplanung, für die Beratung der Gremien und ..., Y und Einrichtungen.

Infolge einer personellen Erweiterung seiner Abteilung kam es zu einer Überlastungssituation für den Kläger, weshalb er im Jahr 2015 seine Überlastung anzeigte. Hiernach kam es zu Konflikten am Arbeitsplatz. Der Kläger bemühte sich um eine Umsetzung, wobei er insbesondere darum bat, nicht seiner Nachfolgerin als Abteilungsleiterin unterstellt zu werden. Dies geschah jedoch, als der Kläger zum 1. Juli 2017 eine neue Funktion üb...

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