Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtliche Nachprüfung der Bewertung und Benotung von Konzessionsangeboten nach § 46 EnWG durch die Gemeinde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gerichtliche Nachprüfung der Bewertung und Benotung von Konzessionsangeboten nach § 46 EnWG durch die Gemeinde beschränkt sich nicht auf eine bloße Willkürkontrolle. Hinreichend nachvollziehbar und plausibel sind sie vielmehr nur und erst dann, wenn sie im konkreten Durchgang und Nachvollzug der dafür angeführten Gründe nach allgemeinen Beurteilungsmaßstäben - d.h. Besseres besser; Gleiches gleich und nicht schlechter; Schlechteres schlechter; Minder- oder Mehrbemessungen nur bei bedeutsamen Abweichungen - als inhaltlich billigenswert in dem Sinne erscheinen können, dass man sich mit guten Gründen bejahend zu ihnen stellen kann, sie also als gut vertretbar ansehen kann.

2. Eine unbillige Behinderung durch ein fehlerhaftes Auswahlverfahren ist zu verneinen, wenn feststeht, dass sich die Fehlerhaftigkeit nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann, weil derselbe Bewerber die Konzession auf jeden Fall auch ohne den Verfahrensfehler erhalten hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12 - Stromnetz Berkenthin, Rn. 99). Dabei ist in Ansehung der einzelnen Bewertungen darauf abzustellen, welchen Punkteabstand der unterlegene Bieter unter Beachtung des Bewertungsspielraums ohne Bewertungsfehler bestenfalls (nicht ausschließbar) hätte erreichen können (Anschluss an OLG Koblenz, Urteil vom 22. August 2019, U 678/19 Kart, Rn. 31ff., 34).

 

Normenkette

BGB § 134; EnWG §§ 1, 17, 46 Abs. 3, § 46a

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 12.10.2021; Aktenzeichen EnZR 43/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil der Kammer für Handelssachen I des Landgerichts Kiel vom 21. Juni 2019 abgeändert:

Es wird gegenüber den Beklagten festgestellt, dass der am 3. Mai 2018 zwischen ihnen abgeschlossene Wegenutzungsvertrag nach § 46 Abs. 2 EnWG für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Elektrizitätsversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören, unwirksam ist, gegenüber der Beklagten zu 2 darüber hinaus, dass ihr gegen die Klägerin kein Anspruch auf Übereignung der für den Betrieb des Stromnetzes im Gemeindegebiet erforderlichen Versorgungsanlagen zusteht.

Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin 18.146,58 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. August 2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 57 % und die Beklagten je 21,5 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung des jeweiligen Gegners wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der (an die Beklagte zu 2 erfolgten) Vergabe neuer Wegenutzungsverträge nach § 46 Abs. 2 EnWG für den Betrieb des Strom- und des Gasnetzes auf dem Gemeindegebiet der Beklagten zu 1.

Gegenwärtig werden die Netze - auf der Grundlage an sich Ende 2014 ausgelaufener Konzessionsverträge - von der Klägerin weiterbetrieben.

Im Zuge eines ersten Vergabeverfahrens beschloss die Stadtvertretung der Beklagten zu 1, sich daran mit eigenen, noch zu gründenden Stadtwerken - der Beklagten zu 2 - zu beteiligen, dies alsbald mit der Maßgabe, dass die Netze an einen Kooperationspartner verpachtet würden, den sie später - die Klägerin hatte sich dafür vergeblich beworben - in der V. Netz GmbH, einer Tochtergesellschaft der V. GmbH fand, einem Zusammenschluss der Stadtwerke R., M. und O. Im November 2014 erfolgten Vergabeentscheidungen an die Beklagte zu 2, die die Beklagte zu 1 beim Stromnetz mit 984 : 863 Punkten und beim Gasnetz mit 990 : 873 Punkten vor der hiesigen Klägerin sah; dies beanstandete das Landgericht Kiel (Urteil vom 13. Februar 2015, 14 O 111/14 Kart, Anlage K 2) wegen unzureichend differenzierter und damit intransparenter Auswahlkataloge.

Dem danach betriebenen, hier streitgegenständlichen neuen Vergabeverfahren legte die Beklagte zu 1 nunmehr einen Katalog zugrunde, der, von ihren das Vergabeverfahren begleitenden jetzigen Prozessbevollmächtigten, einer auf die Beratung von Kommunen und kommunalen Unternehmen spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei, entwickelt, 43 bzw. 42 sog. Unter-Unterkriterien (26 bzw. 25 bezüglich der mit 70% gewichteten Sicherstellung der Ziele des § 1 EnWG und 17 für die mit 30 % gewichtete Rücksichtnahme auf Belange der örtlichen Gemeinschaft im Konzessionsvertrag) umfasste (vgl. die 1. Verfahrensbriefe vom 7. Oktober 2015, Anlagen K 19 und 20), in welchen die Kriterien auf 3 1/2 Seiten erläutert wurden und zur Bewertung mitgeteilt wurde, dass

jedes Unter-Unterkriterium auf einer Skala vo...

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