Verfahrensgang

LG Lübeck (Beschluss vom 26.06.2007; Aktenzeichen 6 O 215/05)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 219,70 EUR zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Rechtspflegerin bei dem LG Lübeck hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 26.6.2007 die Kosten, die die Beklagte dem Kläger nach dem rechtskräftigen Urteil des LG vom 23.11.2007 für die 1. Instanz zu erstatten hat, auf 1.273 EUR festgesetzt, und zwar entsprechend dem Antrag des Klägers vom 15.12.2006 (Bl. 138 f. d.A.), in dem eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3001 RVG-VV enthalten ist. Gegen diesen ihr am 3.7.2007 zugestellten Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer am 5.7.2007 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Die Beklagte macht geltend, dass die Anrechnungsvorschrift Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV im Kostenfestsetzungsverfahren stets berücksichtigt werden müsse, und zwar unabhängig davon, ob die volle Geschäftsgebühr tituliert, eingeklagt oder bezahlt sei.

II. Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RpflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat die Rechtspflegerin in der angefochtenen Entscheidung die beantragte 1,3-Verfahrensgebühr festgesetzt. Die Höhe der dem Rechtsanwalt in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zustehenden Gebühren bestimmt sich nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses. Danach verdient der Rechtsanwalt im ersten Rechtszug eine 1,3-Verfahrensgebühr. Zutreffend hat das LG hiervon keinen Abzug gemacht.

Sinn und Zweck der Anrechnungsregel in Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV ist die Vermeidung einer Doppelhonorierung. Sie bezieht sich grundsätzlich nur auf das Innenverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Anwalt (Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., VV 3100, Rz. 55 mit weiteren Nachweisen). Die Anrechnung soll nur den Auftraggeber vor zu hohen Gebühren schützen und nicht den Erstattungsschuldner entlasten. Ziel des RVG ist es demgegenüber nicht, die Erstattungsforderung der obsiegenden Partei zu begrenzen. Diese richtet sich nach den Grundsätzen des § 91 ZPO. Danach sind der Partei die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten, soweit sie notwendig sind. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts sind nach § 91 Abs. 2 ZPO stets zu erstatten. Zu diesen gehört die Verfahrensgebühr - soweit sie erwachsen ist - in der sich aus VV 3100, 3101 ergebenden Höhe auch dann, wenn sie sich im Verhältnis zum Mandanten durch Anrechnung einer zuvor entstandenen außergerichtlichen Geschäftsgebühr (VV 2300) nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV vermindert. Im Verhältnis zum Prozessgegner erlangt die Anrechnung deshalb nur dann Bedeutung, wenn die Erstattung der Geschäftsgebühr ihm gegenüber ganz oder teilweise tituliert zuerkannt worden ist, die Geschäftsgebühr von ihm unstreitig bereits ausgeglichen worden ist oder der Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen ist. Nur dann hat die Anrechnung Einfluss auf das Kostenfestsetzungsverfahren, denn der Kostenerstattungsschuldner soll auch nicht mehr erstatten müssen, als insgesamt an Gebühren angefallen sind. Anders als im Verwaltungsgerichtsverfahren ist für den Bereich des Zivilprozesses kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die unterlegene Partei nur deshalb niedrigere Kosten zu erstatten haben soll, weil der Rechtsanwalt der Gegenseite bereits vorgerichtlich das Geschäft seines Mandanten betrieben hat (KG, Beschl. v. 17.7.2007 - 1 W 256/07, AGS 2007, 439). Eine allgemeine Regelung, wonach jede Partei ihre vorgerichtlich entstandenen Kosten selbst zu tragen hätte, besteht hier nicht. Vielmehr hat der Kläger grundsätzlich die Möglichkeit, eine ihm vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr im Prozess als Verzugsschaden geltend zu machen. Wird in diesem Verfahren die Geschäftsgebühr tituliert, so hat die Anrechnung gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV zu erfolgen (BGH, Urt. v. 7.3.2007 - VIII ZR 86/06 - und Urt. v. 14.3.2007 - VIII ZR 184/06-, NJW 2007, 2049 bis 2052). In beiden vom BGH entschiedenen Fällen hatte die klagende Partei die ihr entstandene Geschäftsgebühr jeweils in vollem Umfang als Teil der Klageforderung geltend gemacht und zugesprochen erhalten. Dann entspricht es den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen, dass die klagende Partei nicht neben der bereits durch Urteil zugesprochenen vollen Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren die unverminderte Verfahrensgebühr beanspruchen kann. Es soll im Kostenfestsetzungsverfahren nur vermieden werden, dass "doppelt" tituliert wird, dass also im Ergebnis der Kostenerstattungsschuldner mehr erstatten muss, als der Kostengläubiger seinem Anwalt überhaupt schuldet. Da ein Ausnahmefall, in dem die volle Geschäftsgebühr durch Urteil tituliert oder - was dem gleichzustellen ist - unstreitig bezahlt worden ist, hier nicht vorliegt, ist der Kläger nicht daran gehindert, im Kostenfestsetzungsverfahren die volle Verfahrensgebühr gelt...

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