Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtshängigkeit eines beim VG eingereichten Scheidungsantrags

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die gem. §§ 81 Abs. 1, 90 Abs. 1 VwGO im Verfahren vor dem VG eingetretene Rechtshängigkeit eines Scheidungsantrags wirkt auch nach der Verweisung der Sache an das AG fort.

2. Der in Kenntnis der nicht gegebenen Zuständigkeit des VG mit dem Ziel eingereichte Antrag, die im Ehescheidungsverfahren geltenden Zustellungsvorschriften zu umgehen, stellt zwar eine missbräuchliche Rechtsausübung dar. Die örtliche Zuständigkeit des AG ist im Licht von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG dennoch gegeben, weil eine vermögende Partei in der Situation der prozesskostenhilfebedürftigen Antragstellerin noch rechtzeitig vor dem Eintritt der Volljährigkeit der Tochter einen Scheidungsantrag bei dem dann noch örtlich zuständigen AG eingereicht und gleichzeitig den erforderlichen Gerichtskostenvorschuss eingezahlt hätte.

 

Normenkette

BGB § 242; ZPO § 606 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Schleswig (Beschluss vom 11.12.2007; Aktenzeichen 91 F 374/07)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 14.1.2008 wird der Beschluss des AG - FamG - Schleswig vom 11.12.2007 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen - teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin in Schleswig Prozesskostenhilfe für das Ehescheidungsverfahren bewilligt mit der Maßgabe, dass dies nicht gilt für die Mehrkosten, die durch die Anrufung des Schleswig-Holsteinischen VG entstanden sind. Insoweit wird der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.

Eine Ratenzahlungsverpflichtung wird nicht angeordnet.

 

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist überwiegend begründet, da das AG den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit für das Ehescheidungsverfahren zurückgewiesen hat. Das AG Schleswig ist gem. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO örtlich für das am 19.9.2007 durch Einreichung des Ehescheidungsantrages der Antragstellerin beim Schleswig-Holsteinischen VG rechtshängig gewordene Ehescheidungsverfahren zuständig, da zu diesem Zeitpunkt die Antragstellerin mit der damals noch minderjährigen Tochter der Parteien im Bezirk des AG Schleswig lebte. Die Tochter A ist unstreitig erst am 29.9.2007 volljährig geworden. Die gem. §§ 81 Abs. 1, 90 Abs. 1 VWGO im Verfahren vor dem VG eingetretene Rechtshängigkeit wirkt auch nach der Verweisung der Sache an das AG fort (s. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 261 Rz. 3a m.w.N.).

Entgegen der Ansicht des AG ist es der Antragstellerin nicht verwehrt, sich auf die so begründete örtliche Zuständigkeit zu berufen. Die Einreichung des Scheidungsantrages beim VG in Kenntnis der nicht gegebenen Zuständigkeit mit dem Ziel, die im Ehescheidungsverfahren geltenden Zustellungsvorschriften zu umgehen, dürfte zwar mit dem AG als missbräuchliche Rechtsausübung anzusehen sein. Das AG weist zutreffend darauf hin, dass die Rechtshängigkeit bei einer Einreichung des Scheidungsantrages beim AG später eingetreten wäre, weil vor einer Zustellung zunächst über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hätte entschieden werden müssen. Denn im Ehescheidungsverfahren gilt eine Kostenvorschusspflicht. Zutreffend ist auch der Hinweis des AG, dass bei einem Eintritt der Rechtshängigkeit nach dem Zeitpunkt der Volljährigkeit der Tochter für die örtliche Zuständigkeit der Wohnsitz des Antragsgegners maßgeblich gewesen wäre.

Dennoch kann der Schlussfolgerung des AG, die Antragstellerin könne sich auf die nur formal gegebene Zuständigkeit nicht berufen, weil sie diese offensichtlich treuwidrig herbeigeführt habe, nicht gefolgt werden. Die Prüfung der Frage, welche Folgen eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung hat, erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (s. Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 242 Rz. 5, 38 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsfolge - örtliche Zuständigkeit des AG Schleswig - nicht als unangemessene Rechtsfolge angesehen werden kann. Diese örtliche Zuständigkeit hätte sich nämlich auch dann ergeben, wenn eine vermögende Partei in der Situation der Antragstellerin unter dem 19.9.2007 einen Scheidungsantrag beim AG eingereicht und gleichzeitig den erforderlichen Gerichtskostenvorschuss eingezahlt hätte. Auch dann wäre der Antrag vor dem Eintritt der Volljährigkeit der Tochter - mithin vor dem 29.9.2007 - zugestellt worden. Aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG folgt jedoch, dass einer bedürftigen Partei grundsätzlich in gleicher Weise Zugang zu den Gerichten eröffnet werden muss wie einer vermögenden (s. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., Vor § 114 Rz. 2 m.w.N.).

Hinsichtlich der Mehrkosten, die durch die Anrufung des Schleswig-Holsteinischen VG entstanden sind, konnte dem Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entsprochen werden, da insoweit die ...

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