Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslieferung. Unzulässigkeit. Türkei. Europäisches Auslieferungsübereinkommen. MRK. Menschenrechtskonvention

 

Leitsatz (amtlich)

Die Auslieferung eines Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland an die Republik Türkei zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ist -zurzeit- unzulässig.

 

Orientierungssatz

Keine Auslieferung an die Türkei zur Strafverfolgung oder -vollstreckung.

 

Normenkette

EuAlÜbK Art. 3; EMRK Art. 3; GG Art. 2; IRG § 73; EMRK Art. 6, 15; GG Art. 103-104

 

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland an die Republik Türkei zur Vollstreckung der durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts in Akhisar vom 18. April 2013 verhängten (restlichen) Freiheitsstrafe wird für unzulässig erklärt.

Die Senatsbeschlüsse über die Anordnung der Auslieferungshaft und über die Aussetzung des weiteren Vollzuges dieser Haft werden aufgehoben.

Die Staatskasse hat dem Verfolgten seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Gründe

Mit einem internationalen Fahndungsersuchen hatten die Behörden der Republik Türkei im Sommer 2015 um die vorläufige Festnahme des in Deutschland lebenden Verfolgten ersucht. Sie hatten angekündigt, ein förmliches Auslieferungsersuchen zum Zwecke der Strafvollstreckung stellen zu wollen. Grundlage des Ersuchens war ein nationaler türkischer Haftbefehl vom 4. November 2014. Nach dessen Inhalt lag gegen den Verfolgten ein rechtskräftiges Urteil des Gerichts in Akhisar vom 18. April 2013 vor. Durch dieses Urteil ist der Verfolgte wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall (er hatte gemeinsam mit Mittätern mit Hilfe eines Nachschlüssels einen Ackerschlepper entwendet) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Aus der Fahndungsausschreibung ergab sich, dass von dieser Strafe noch vier Jahre, sechs Monate und acht Tage zur Vollstreckung anstanden.

Auf Grundlage dieses Ersuchens hat der Senat durch Beschluss vom 6. August 2015 gegen den Verfolgten, der sich zum damaligen Zeitpunkt noch auf freiem Fuß befand, die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. Dieser Auslieferungshaftbefehl ist am 11. August 2015 vollstreckt worden.

Nachdem die Behörden der Republik Türkei im Nachgang auf dem vorgesehenen diplomatischen Wege die für die Entscheidung über die Auslieferung erforderlichen Originalunterlagen vorgelegt hatten, hat der Senat durch Beschluss vom 15. September 2015 gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet.

In der Folgezeit zeichnete sich ab, dass eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht kurzfristig getroffen werden würde. Zum einen betrieb der Verfolgte ein (weiteres) Asylfolgeverfahren. Zum anderen ergab sich aus den von der Republik Türkei überreichten Unterlagen, dass es sich bei dem Urteil, dessen Rechtsfolge vollstreckt werden sollte, um ein Abwesenheitsurteil handelte.

Beide Umstände ließen erkennen, dass weitere Ermittlungen notwendig werden würden.

Vor dem Hintergrund, dass der Verfolgte vor seiner Verhaftung mit seiner Familie legal in Deutschland lebte und einer geregelten Arbeit nachging, hat daher der Senat durch Beschluss vom 5. November 2015 den weiteren Vollzug der Auslieferungshaft gegen Stellung einer Sicherheitsleistung von 75.000,00 € sowie unter weiteren Auflagen ausgesetzt. Der Verfolgte ist am 10. November 2015 aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden. Seither kommt er einer Meldeauflage nach.

In der Folgezeit hat der Generalstaatsanwalt die Akten des Asylfolgeverfahrens beigezogen und ausgewertet. Er hat sich über das Auswärtige Amt an die Behörden der Republik Türkei gewandt und um Erklärung gebeten, ob von dort aus eine Zusicherung gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (Recht auf erneute Verhandlung auf Antrag des Verfolgten) abgegeben werde.

Über die Botschaft der Republik Türkei in Berlin und das Auswärtige Amt ist am 9. Mai 2016 eine Verbalnote zur Akte gelangt, aus der sich ergibt, dass das Landgericht in Akhisar am 26. Februar 2016 durch ein "Zusatzurteil" entschieden hat, das Strafverfahren gegen den Verfolgten wieder aufzunehmen und eine erneute Hauptverhandlung durchzuführen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat unter dem 14. Juni 2016 zur Akte mitgeteilt, dass das Asylfolgeverfahren "derzeit noch in Bearbeitung" sei.

Vor diesem Hintergrund beantragt der Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein nunmehr, die Auslieferung des Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland an die Republik Türkei für zulässig zu erklären.

Dieser Antrag ist abzulehnen. Die Auslieferung erscheint - zwar nicht grundsätzlich, aber unter den zurzeit obwaltenden aktuellen Umständen in der Türkei - unzulässig.

Nach einer offiziellen Verlautbarung des Auswärtigen Amtes in Berlin vom 16. August 2016 ("Auswirkungen des Ausnahmezustandes auf Rechtstaatlichkeit und Haftbedingungen") stellen sich die aktuellen Verhältnisse im Bereich der Strafjustiz in der Republik Türkei...

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