Leitsatz (amtlich)

1. Kann der Inhalt des vom Erblasser Erklärten seinem Wortlaut nach nicht vollständig aus der handschriftlichen Urkunde entnommen werden, weil diese auch mit sachverständiger Hilfe nicht vollständig lesbar ist, liegt keine formwirksam verlautbarte letztwillige Verfügung vor. Über die mangelnde Lesbarkeit können außerhalb der Urkunde liegende Umstände - etwa Zeugenaussagen zum Inhalt des Schriftstücks - nicht hinweghelfen.

2. Beruhen die Zweifel an dem Inhalt einer letztwilligen Verfügung auf undeutlicher Schreibweise bzw. schwer lesbarer Schrift kann ein Schriftsachverständiger hinzugezogen werden, auch wenn dieser vorrangig mit der Beurteilung der Echtheit von Schreibleistungen befasst ist. Die Entzifferung von allein wegen der Schreibweise schwer lesbaren Schriftstücken beruht nämlich nicht auf wissenschaftlichen Methoden, sondern auf Erfahrung, die sich ein Schriftsachverständiger durch seine Tätigkeit durchaus aneignet.

 

Verfahrensgang

AG Eutin (Aktenzeichen 62 VI 453/12)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 2. trägt die Kosten nach einem Geschäftswert von 810.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Beteiligte zu 1. ist das einzige Kind der... 2012 verstorbenen A. Die Beteiligte zu 2. kam als Pflegekraft beruflich und privat in Kontakt zu der Erblasserin. Der Ehemann der Erblasserin, B., ist... 2011 vorverstorben. Die Ehegatten hatten letztwillige Verfügungen über ihre Bestattung, aber keine Erbfolgeregelung getroffen (Testamentsabschriften Bl. 15 f. d.A.). Dementsprechend ist der Beteiligten zu 1. am 8.11.2012 ein Erbschein als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilt worden (Bl. 5 d.A.). Nachdem die Beteiligte zu 2. jedoch ein Schriftstück vorgelegt hat, dass die Erblasserin am 6.4.2012 errichtet haben und das ihre, der Beteiligten 2., Einsetzung zur Alleinerbin beinhalten soll, hat das Nachlassgericht den Erbschein als unrichtig eingezogen (Bl. 19a d.A.). Eine Abschrift des Schriftstücks befindet sich auf Bl. 5 der Beiakte. Echtheit und Inhalt desselben sowie die Testierfähigkeit der Erblasserin zum angeblichen Zeitpunkt der Errichtung sind streitig. Umstritten ist auch die Zulässigkeit einer etwaigen Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2.

Die Beteiligte zu 2. hat behauptet, sie habe das Schriftstück von der Zeugin C, einer anderen Pflegekraft der Erblasserin, erhalten. Die Erblasserin habe es im Beisein der Zeugin gefertigt. Sie habe es der Zeugin in einem verschlossenen Umschlag mit den Worten übergeben, sie möge ihn nach ihrem Tode "meiner D" geben, die alles bekommen solle. Von der Zeugin habe sie das Schriftstück dann erhalten. Das Schriftstück sei so zu lesen (Bl. 28 d.A.):

"Ich, A, vermache alles meiner D, geb... Dezember..., A. 6.4.2012".

Zum Zeitpunkt der Errichtung dieses demnach als Testament auszulegenden Schriftstücks sei die Erblasserin nicht wegen Demenz oder Leseunfähigkeit testierunfähig gewesen. Auch sonst sei das Testament rechtlich unbedenklich. Es verstoße nicht gegen § 14 Abs. 5 HeimG, wonach den Mitarbeitern eines Heimes die Entgegennahme geldwerter Leistungen von Heimbewohnern untersagt sei. Das Haus "X", in dem die Erblasserin und ihr Ehemann gelebt hätten, sei kein Heim im Sinne des Heimgesetzes. Die Erblasserin habe sich ohne die für ein Heim kennzeichnende Verpflichtung frei für den Pflegedienst der... entschieden, bei dem sie, die Beteiligte zu 2., gearbeitet habe.

Die Beteiligte zu 1. hat gegen die Einziehung des Erbscheins Beschwerde eingelegt. Sie hat aus den genannten formellen und materiellen Bedenken in Frage gestellt, dass es sich bei dem Schriftstück um ein wirksames Testament handele.

Das Nachlassgericht hat die Beschwerde gegen die Einziehung des Erbscheins als Antrag auf Erlass eines neuen, dem alten Erbschein inhaltlich entsprechenden Erbscheins ausgelegt. Nach Beweiserhebung über die Testierfähigkeit der Erblasserin durch zeugenschaftliche Vernehmung von Ärzten der Erblasserin und über die Lesbarkeit des Schriftstücks durch Einholung eines schriftlichen und mündlichen Gutachtens der Sachverständigen Y hat es dem Antrag stattgegeben. Die Beteiligte zu 1. sei gesetzliche Erbin nach der Erblasserin geworden, weil das von der Beteiligte zu 2. vorgelegte Schriftstück kein wirksames Testament enthalte. Es sei nicht lesbar. Auch die Sachverständige Y habe es nicht vollständig entziffern können. Die Sachverständige sei für die Begutachtung besonders qualifiziert, weil sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Schriftsachverständige mehrjährige Erfahrung im Entziffern von Schriftstücken habe. Eine Vernehmung der Frau C habe es nicht bedurft. Für die Entzifferung der Testamentsurkunde habe allein die Urkunde selbst herangezogen werden dürfen. Eine Einbeziehung sonstiger Umständen führe zur Umgehung des Formerfordernisses nach § 2247 BGB. Aus dem entzifferbaren Teil des Schriftstücks ergebe sich keine Einsetzung der Beteiligten zu 2. zur Allein- oder Miterbin nach der Erblasserin. Aus dem lesbaren Teil ergebe sich nicht einmal, dass es sich tatsächlich um e...

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