Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Kombination aus geringer kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung (hier max. 16,3 km/h in Längsrichtung) und niedriger biomechanischer Belastung (mittlere Verzögerung in Längsrichtung von maximal 4,1 g) schließt aus medizinischer Sicht eine Verletzungsmöglichkeit an der Halswirbelsäule sowie des Brustkorbes mit an Sicherheit grenzender bzw. überwiegender Wahrscheinlichkeit aus.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine einfache HWS-Distorsion - ohne nachgewiesene längerfristige Beschwerden und dauernde Schäden - ist mit einem gezahlten Schmerzensgeld in Höhe von 650,00 EUR angemessen ausgeglichen.

2. Für Fragen der unfallbedingten, individuellen Belastbarkeit und der konkreten körperlichen Beeinträchtigungen ist im Rahmen eines interdisziplinären Gutachtens nicht der technische, sondern der medizinische Gutachter zuständig.

3. Unter Zugrundelegung der vom technischen Gutachter ermittelten kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung (Fahrzeuglängsrichtung max. rd. 16,3 km/h; Fahrzeugquerrichtung ca. 4,3 km/h) sowie der festgestellten biomechanischen Belastungen (mittlere Verzögerung in Längsrichtung von maximal 4,1 g und mittlere Beschleunigung in Querrichtung von maximal 1,1 g) kann aus medizinischer Sicht eine Verletzungsmöglichkeit an der Halswirbelsäule sowie des Brustkorbes mit an Sicherheit grenzender bzw. überwiegender Wahrscheinlichkeit verneint werden. Eine Verletzungsmöglichkeit der Schulter (Rotatorenmanschette) ist unter Berücksichtigung des Unfallmechanismus ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1-2, § 18 Abs. 1 S. 1; VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Urteil vom 12.08.2022; Aktenzeichen 6 O 40/18)

 

Tenor

I. Der Kläger wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.

III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 10.000,00 EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um - weiteres - Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, der sich 10.02.2016 gegen 9:00 Uhr im Kreuzungsbereich der D.- Chaussee und der H.-straße in H. ereignete und an dem der Kläger mit seinem PKW VW T4 und der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW VW Passat beteiligt waren. Die alleinige Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist aufgrund eines Vorfahrtverstoßes des Beklagten zu 1) unstreitig. Streitig ist, ob und inwieweit der Kläger bei dem Unfall verletzt wurde. Der Kläger war nach dem Unfall ca. neun Monate lang krankgeschrieben. Die Beklagte zu 2) zahlte dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 650,00 EUR.

Der Kläger behauptet, er habe infolge des Unfalls folgende Verletzungen erlitten: Eine HWS-Distorsion, eine Thoraxprellung sowie eine Verletzung der linken Schulter (u.a. SLAP-II-Läsion). Mit seiner Klage vom 19.01.2018 hat der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld sowie Ersatz eines Haushaltsführungsschadens geltend gemacht.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts (§ 287 ZPO) gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrag als Haushaltsführungsschaden zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten stellen die behaupteten Verletzungen und insbesondere länger andauernde Beschwerden in Abrede. Sie sind der Auffassung, etwaige unfallbedingte Beeinträchtigungen seien durch das gezahlte Schmerzensgeld hinreichend kompensiert.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Kläger und den Beklagten zu 1) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung des Zeugen Dr. N. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschriften vom 12.10.2018 (Bl. 48 ff. d. A.) und vom 27.06.2022 (Bl. 266 ff. d. A.) sowie auf das Gutachten vom 18.09.2020 (Sonderband) verwiesen.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 12.08.2022 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe unfallkausale Verletzungen, die ein über die geleisteten 650,00 EUR hinausgehendes Schmerzensgeld rechtfertigten, nicht zur Überzeugung des ...

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