Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Schleswig vom 25.1.2019 - L 3 AS 76/16, das vollständig dokumentiert ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.02.2020; Aktenzeichen B 14 AS 3/19 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 30. August 2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 380,80 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren nach einer Aufrechnungsentscheidung des Beklagten.

Die klagenden Rechtsanwälte vertraten die im Oktober 2014 nach B… (Dithmarschen) umgemeldete Frau M... K... (im Folgenden: K.) in einem Widerspruchsverfahren, in dem es um eine Leistungsangelegenheit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ging. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2014 gab der Beklagte dem Widerspruch statt. Dabei führte er aus, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen auf Antrag erstattet würden. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten sei notwendig gewesen. Hierauf erstellten die Rechtsanwälte am 31. Oktober 2014 eine Kostenrechnung über 380,80 EUR. Zuvor war ihnen von dem Amtsgericht Meldorf Beratungshilfe bewilligt worden (Berechtigungsschein vom 24. Oktober 2014). Mit Schreiben vom 14. Januar 2015 teilte der Beklagte Herrn Rechtsanwalt … mit, dass die geltend gemachten Kosten erstattungsfähig seien. Gegen seine Mandantin bestünden aber noch Forderungen wegen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen für Februar 2013 (371,20 EUR) sowie für März bis Mai 2013 (110,08 EUR). Den anwaltlichen Anspruch auf Kostenerstattung rechne er nach § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegen diese Forderungen auf. Eine Auszahlung des Kostenerstattungsanspruchs erfolge deshalb nicht. Mit weiterem Schreiben vom 23. Januar 2015 wiederholte der Beklagte diese Aufrechnungserklärung und führte aus, dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 9 Beratungshilfegesetz (BerHG) auf den Prozessbevollmächtigten der Frau K. übergegangen sei. Deshalb werde die Aufrechnung ihm gegenüber erklärt (§§ 412, 406 BGB).

Nach weiterer Korrespondenz haben die Rechtsanwälte ... GbR am 20. März 2015 bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe im eigenen Namen Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt: Es sei unstreitig, dass der Beklagte auch gegenüber Leistungsempfängern die Aufrechnung erklären könne, soweit er eigene Forderungen diesen gegenüber verfolge und diese entsprechende Gegenforderungen hätten. Ein solcher Fall sei hier allerdings nicht gegeben. Denn der Kostenerstattungsanspruch stehe nicht Frau K., sondern ihnen zu. Dies ergebe sich aus § 9 BerHG. Soweit der Beklagte meine, dass hier die §§ 406 und 412 BGB einschlägig seien, sei das falsch. Denn die wechselseitigen Forderungen hätten sich zu keinem Zeitpunkt aufrechenbar gegenüber gestanden. Frau K. habe zu keinem Zeitpunkt eine eigene Forderung gegenüber dem Beklagten gehabt; der Kostenerstattungsanspruch sei von Anfang an bei den klagenden Rechtsanwälten entstanden (§ 9 BerHG). Die Sache sei für sie wegen vieler vergleichbarer Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung.

Ergänzend haben die Kläger sich auf Rechtsprechung des SG Berlin (Urteil vom 9. März 2016, S 190 AS 3757/15, juris) bezogen.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Klägern als Gesamtgläubigern einen Betrag in Höhe von 380,80 EUR ausweislich der Kostenrechnung vom 31. Oktober 2014 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er sich zunächst auf die vorgerichtliche Korrespondenz bezogen. Ergänzend hat er auf Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts (LSG, Urteil vom 29. Oktober 2012, L 9 AS 601/10, juris) Bezug genommen und ausgeführt: Der Vorrang der Aufrechnungslage auch bei einem Übergang der Forderung (§ 406 BGB) sei ein Grundprinzip, das sogar in der Insolvenz gelte (§ 94 Insolvenzordnung). Dabei werde in Kauf genommen, dass der neue Gläubiger eine schlechtere Position erhalte, als zunächst gedacht. Hiervon habe der Gesetzgeber zwei Ausnahmen gemacht, nämlich in § 126 Zivilprozessordnung (ZPO), wo dem beigeordneten Rechtsanwalt ein eigener Anspruch zugebilligt werde, und in § 43 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Eine Ausnahme für das SGB II sei nicht geregelt, so dass insoweit der Grundsatz des Vorrangs der Aufrechnungslage gelte. Die Aufrechnung verletze auch nicht Art. 12 Grundgesetz (GG), weil - anders als bei der Beiordnung - in Beratungshilfesachen schon keine Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben ausgesprochen werde. Auch eine Treuwidrigkeit der Aufrechnung sei nicht ersichtlich. Der Rechtsanwalt stehe insoweit nicht anders da als jeder sonstige Zessionar, der durch Aufrechnung eine vermeintlich werthaltige Forderung verliere.

Die Kläger haben erwidert, dass die Auffassung des Beklagten nicht überzeugen könne. Die Bezugnahme auf andere Aufrechnungssituationen oder das Insolve...

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