Entscheidungsstichwort (Thema)

Besorgnis der Befangenheit. Eheverhältnis zwischen Richterin und Prozeßbevollmächtigtem

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Eheverhältnis zwischen Richter/in und einer/m Prozeßbevollmächtigten ist ein Ausschlußgrund.

2. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der/die Prozeßbevollmächtigte eine/r von mehreren ist, ob die Eheleute zusammenleben oder wie sie persönlich zueinander stehen.

 

Gründe

Die Kammervorsitzende hat am 4. Februar 1998 angezeigt, daß ihr Ehemann im anhängigen Rechtsstreit einer von mehreren Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist.

Der für die Entscheidung über Befangenheitsgesuche zuständige Senat hat deshalb nach § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 48 Zivilprozeßordnung (ZPO) darüber zu befinden, ob die Richterin kraft Gesetzes ausgeschlossen ist oder ob ein Grund vorliegt, der ihre Ablehnung rechtfertigen könnte. Der Senat stellt hierzu fest, daß das Eheverhältnis zwischen der zuständigen Richterin und dem Prozeßbevollmächtigten einer Partei ein Ausschlußgrund ist. Zwar ist dieser Fall im § 41 ZPO nicht ausdrücklich aufgeführt. Nach Ansicht des Senats liegt aber eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Diese schließt er systemgerecht, indem er §§ 41 ZPO, 20 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl. I Seite 1253), 81 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein (in der Fassung vom 2. Juni 1992 GVOBl. Seite 243) sowie § 16 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Rechtsanalogie anwendet.

Die planwidrige Gesetzeslücke zeigt sich, wenn man nicht nur den Wortlaut des § 41 ZPO betrachtet, der allerdings auf einen abschließenden Katalog von Ausschlußgründen hinweist (so Zöller - ZPO, 20. Aufl., § 41 Randziffer 1; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 56. Aufl., § 41 Randziffer 1; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., Seite 136). Berücksichtigt man vielmehr den geschichtlichen Hintergrund der Befangenheitsvorschriften, ihre Systematik und schließlich ihren Sinn und Zweck, stellt sich § 41 ZPO nicht als abschließende Aufzählung dar.

Die Auffassung, den Katalog des § 41 ZPO nach seinem Wortlaut als abschließend anzusehen, überzeugt schon aus historischen Gründen nicht mehr. Als § 41 ZPO eingeführt wurde, war es undenkbar, daß ein Richter und ein Prozeßbevollmächtigter miteinander verheiratet sein können. Denn Frauen waren als Richter oder Rechtsanwälte nicht zugelassen. Im Laufe der Zeit haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert. Dies hat auch der Gesetzgeber wahrgenommen und in den oben zitierten Gesetzen über die Verwaltungsverfahren berücksichtigt. Dort ist der Ausschluß eines Behördenangehörigen bestimmt, wenn dieser und der Prozeßbevollmächtigte eines Verfahrensbeteiligten miteinander verheiratet sind. Es zieht nicht das Argument, der Gesetzgeber habe inzwischen § 41 ZPO ergänzen können, das aber nicht getan und dadurch seinen Willen gezeigt, den Katalog nicht anzupassen. Hierzu hat der Gesetzgeber keinen Anlaß gehabt, weil sich die Fälle in aller Regel über §§ 42, 48 ZPO lösen, indem die Besorgnis der Befangenheit auf ein Ablehnungsgesuch hin festgestellt wird. Diese Lösung wird aber dem System und insbesondere dem Sinn und Zweck der §§ 41 ff. ZPO nicht gerecht. Denn sie versagt, wenn die Parteien und der Richter kein Ablehnungsgesuch stellen.

§ 41 ZPO ist eine Spezialvorschrift zu § 42 ZPO. Das zeigt sich im § 42 ZPO an der Formulierung, daß ein Richter sowohl in den Ausschlußfällen als auch bei Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. § 41 ZPO beschreibt besondere Konstellationen, in denen immer die Besorgnis der Befangenheit wegen der persönlichen Nähe von Richter und Partei bzw. zum Streitstoff besteht. Hier tritt der Gesetzgeber an die Stelle des objektivierten Prozeßbeteiligten, der in all diesen Fällen mit Sicherheit die Besorgnis der Befangenheit annehmen würde. Konsequent sind die Rechtsfolgen ausgestaltet: Ausschluß auf Gesuch oder von Amts wegen (§ 48 ZPO) und - wenn dies nicht beachtet wird - ein unbedingter Rechtsmittelgrund (§ 551 Nr. 1 ZPO). Die Katalogisierung erlaubt es, den Ausschluß leicht und sicher festzustellen. Dieses System will nicht hinnehmen, daß ein offenkundig befangener Richter weiterarbeitet.

Damit ist schon der Sinn und Zweck der §§ 41 ff. ZPO angesprochen. Sie sind Kernstück einer unparteiischen Rechtspflege. Diese verfolgt nicht nur die Interessen der Parteien, sondern auch die Interessen der Allgemeinheit an unparteiischen Richtern. Danach muß jeder Richter ausgeschlossen sein, bei dem die Besorgnis der Befangenheit offenkundig ist. Im Interesse einer tadelfreien Justiz darf seine Mitwirkung nicht von einem Parteigesuch abhängig sein. Um dieses Ziel des Gesetzgebers zu erreichen, muß man den bestehenden Katalog des § 41 ZPO als offen und als ergänzbar um solche Fälle betrachten, die gleichermaßen offensichtlich die Besorgnis der Befangenheit erkennen lassen.

Bei der Ehe zwischen einem Verwaltungsangehörigen und dem am Verwaltun...

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