Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung. Schlussüberschussanteile aus Kapitallebensversicherung. Rücknahme eines endgültigen Bewilligungsbescheids. Auswechseln der Rechtsgrundlage. Vertrauensschutz. Grobe Fahrlässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

(Ausbezahlte) Schlussüberschussanteile aus einer Kapitallebensversicherung sind eher Vermögen iS des § 12 SGB 2 als Einkommen iS des § 11 SGB 2.

 

Normenkette

SGB II § 11 Abs. 1, §§ 12, 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3; SGB III § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 330 Abs. 2, 3 S. 1; SGB X § 45 Abs. 1, 2 S. 3 Nr. 3, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. September 2012 abgeändert und die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 7. April 2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 5. August 2011 aufgehoben.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die teilweise Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.08.2010 bis 30.09.2010.

Die am ...1952 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 1 stand im streitigen Zeitraum gemeinsam mit ihrem am ...1948 geborenen, erwerbsfähigen Ehemann, dem Kläger zu 2, im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Kläger waren jeweils Inhaber einer kapitalbildenden Lebensversicherung bei der Versicherung “Alte Leipziger„, welche am 01.08.2010 fällig wurden. Sie hatten die Versicherungen gegenüber der ARGE M… E… (im Folgenden: ARGE), einer Rechtsvorgängerin des Beklagten, bereits bei ihrer erstmaligen Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II am 24.10.2004 angegeben und in der Folgezeit regelmäßig Informationen zum aktuellen Stand der Versicherung eingereicht. Am 16.03.2010 legten die Kläger jeweils eine Vertragsauskunft der “Alten Leipziger„ vom 02.03.2010 über den Stand der Versicherung vor. Auf Seite 2 des an die Klägerin zu 1 gerichteten Schreibens heißt es unter der Überschrift “Mögliche Ablaufleistung (beitragspflichtig)„

“Am Ablaufdatum 01.08.2010 zahlen wir die Erlebensfallsumme in Höhe von:

6.548,00 €

aus. Hinzu kommt die Überschussleistung, die im Voraus nicht feststeht, in Höhe von:

Überschussleistung:

2.171,19 €

Beteiligung an Bewertungsreserven:

0,00*€

_________

Gesamtleistung (einschließlich Erlebensfallsumme):

8.719,19 €

* Zum Berechnungstermin kommt ein Beteiligungswert an den Bewertungsreserven hinzu, welcher noch nicht ermittelt werden kann. Aufgrund von Kapitalmarktschwankungen und damit verbundenen Schwankungen der Bewertungsreserven kann die Beteiligung höher oder niedriger ausfallen oder sogar ganz entfallen….„

In dem Schreiben an den Kläger zu 2 war bei im Übrigen identischer Formulierung eine Erlebensfallsumme in Höhe von 6.224,00 € und eine Überschussleistung in Höhe von 2.216,61 € ausgewiesen.

Mit Bescheid vom 07.06.2010 bewilligte die ARGE den Klägern für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 709,03 €. Einkommen berücksichtigte sie dabei in der Bedarfsberechnung nicht.

Unter dem 02.08.2010 forderte die ARGE die Kläger auf, Nachweise über die mit Blick auf das Ablaufdatum zum 01.08.2010 erfolgten Auszahlungen der Versicherungssummen und die Kontoauszüge mit dem Zufluss vorzulegen. Die Kläger teilten mit, sie hätten ihre jeweiligen Versicherungssummen aufgerundet und bei der Sparkassen-Versicherung eingezahlt. Zum Nachweis legten sie die jeweils ab 01.09.2010 gültigen Versicherungsscheine der Sparkassen-Versicherung Sachsen über Rentenversicherungen vor. Die Kläger hatten bereits am 13.08.2010 unter Bezugnahme auf § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II sowie § 168 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) für beide Versicherungen bei der Sparkassen-Versicherung einen Verwertungsausschluss bis zum Eintritt des jeweiligen Versicherungsnehmers in den Ruhestand vereinbart. Der Versicherungsbeitrag belief sich für die Klägerin zu 1 einmalig auf 9.150,00 €, für den Kläger zu 2 einmalig auf 8.900,00 €. Die “Alte Leipziger„ bestätigte, dass sie die gesamte Ablaufleistung für die Klägerin zu 1 in Höhe von 9.146,77 € und für den Kläger zu 2 in Höhe von 8.853,95 € am 24.08.2010 auf das Konto der Sparkassen-Versicherung Sachsen überwiesen und dabei als Zahlungsempfänger die Namen der Kläger angegeben habe. In der Ablaufleistung für die Klägerin zu 1 war eine Überschussleistung von 2.171,20 € sowie eine Beteiligung an der Bewertungsreserve von 427,57 € enthalten; die Überschussleistung setzte sich aus Überschussanteilen von 1.521,45 € sowie einer Schlussdividende von 649,75 € zusammen. Beim Kläger zu 2 belief sich die Überschussleistung auf 2.216,61 € und die Beteiligung an der Bewertungsreserve auf 413,34 €; in der Überschussleistung waren Überschussanteile im Umfang von 1.599,26 € und eine Schlussdividende von 617,35 € enthalten.

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