Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragserfordernis. mündlicher Antrag. Untätigkeit. verspätete Vorlage des ausgefüllten Antragsformulars. Verwirkung der Leistungsansprüche

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 37 SGB 2 sieht weder eine bestimmte Form für den Antrag vor, noch ist die Verwendung eines bestimmten Formulars gesetzlich zwingend vorgegeben. Sucht ein Hilfebedürftiger eine Sachbearbeiterin des Grundsicherungsträgers auf und erklärt dort, er strebe eine Aufstockung seines Arbeitslosengeldes durch Arbeitslosengeld II an, und wird ihm daraufhin ein Antragsformular ausgehändigt, so stellt dies einen Antrag im Sinne des § 37 SGB 2 dar. Der Einordnung als Antrag steht nicht entgegen, dass bei der Vorsprache des Hilfebedürftigen keine weiteren Daten insbesondere auch zu seiner Person - aufgenommen wurden (Abgrenzung BSG, vom 1.10.1964 - 11/1 RA 296/63 = NJW 1965, 463).

2. Wird erst mehr als sechs Monate nach der hier als Antragstellung auszulegenden ersten Vorsprache bei dem Grundsicherungsträger und der Aushändigung eines Antragsvordrucks der ausgefüllte Antragsvordruck vorgelegt, so sind Leistungsansprüche für den zurückliegenden Zeitraum zwischen der Antragstellung der Vorlage des ausgefüllten Antragsvordrucks durch Verwirkung erloschen. Da das SGB 2 Hilfebedürftigen in (existenziellen) Notlagen Leistungen gewährt, konnte der Grundsicherungsträger angesichts des Zuwartens des Hilfebedürftigen darauf vertrauen, dass dieser Leistungsansprüche nicht mehr rückwirkend geltend macht.

 

Orientierungssatz

1. § 37 SGB 2 schreibt weder eine bestimmte Form für den Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor, noch ist die Verwendung eines bestimmten Formulars gesetzlich zwingend vorgegeben. An die Spezifizierung des Antrages sind keine zu strengen Anforderungen zu stellen; vielmehr hat der Grundsicherungsträger in Anwendung des § 133 BGB den wirklichen Willen des Antragstellers zu erforschen und muss dessen Erklärungen entsprechend auslegen.

2. Hat der Hilfebedürftige beim Grundsicherungsträger vorgesprochen und erklärt, dass er Arbeitslosengeld erhalte und eine Aufstockung durch Arbeitslosengeld II anstrebe, und wurde ihm daraufhin ein Antragsformular mit dem Tagesstempel im Feld "Tag der Antragstellung" ausgehändigt, so ist hierdurch ein Antrag iS von § 37 SGB 2 gestellt worden. Hat der Grundsicherungsträger anlässlich der Vorsprache keine weiteren Daten zur Person des Hilfebedürftigen aufgenommen, so fällt dies in die Sphäre des Trägers und kann nicht zum Nachteil des Hilfebedürftigen gereichen.

3. Hat der Hilfebedürftige jedoch nach der Antragstellung nichts mehr getan, um seine Ansprüche weiter zu verfolgen und das ausgefüllte Antragsformular erst fast 7 Monate nach der Antragstellung vorgelegt, so sind die Leistungsansprüche nach dem - auch im Sozialrecht geltenden - Rechtsinstitut der Verwirkung (§ 242 BGB) erloschen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 28.10.2009; Aktenzeichen B 14 AS 56/08 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 11. Juli 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind von der Beklagten für beide Instanzen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 09. Juni 2005 bis zum 02. Januar 2006.

Der am … 1981 geborene Kläger bewohnte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum eine Einraumwohnung mit einer Wohnfläche von 26,56 qm und einer monatlichen Nettokaltmiete von 135,40 € sowie einer Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 65,00 €. Vom 01. Februar 2005 bis zum 28. Januar 2006 bezog er Arbeitslosengeld I in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von zunächst 113,10 € und ab dem 19. Oktober 2005 von 126,30 €. Am 09. Juni 2005 sprach der Kläger bei der Beklagten wegen der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II vor. Ihm wurde dabei ein Antragsformular ausgehändigt, auf das im Feld “Tag der Antragstellung„ der Stempel “9.6.05„ aufgebracht wurde. Persönliche Daten des Klägers wurden am 09. Juni 2005 durch die Beklagte nicht erfasst.

Mit Eingang bei der Beklagten am 03. Januar 2006 legte der Kläger das nunmehr ausgefüllte Antragsformular vor und gab dabei an, er habe seit dem 09. Juni 2005 seinen Lebensunterhalt durch Arbeitslosengeld I, Erspartes sowie Elternbeihilfe bestritten. Mit Bescheid vom 03. Januar 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 03. Januar 2006 bis 31. Januar 2006 in Höhe von monatlich 436,77 € und vom 01. Februar 2006 bis 30. Juni 2006 in Höhe von monatlich 508,22 €. Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, das Datum der Antragstellung (09. Juni 2005) sei bei der Bewilligungsentscheidung nicht berücksichtigt worden. Im April 2006 habe er das gesamte Guthaben seines Sparkontos auf sein Girokonto überwiesen, um in den Folgemonaten davon zu ...

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