Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzgeldanspruch. erneutes Insolvenzereignis. laufende Überwachung des Insolvenzplanverfahrens. Gesamtverfahren. Beendigung des überwachten Insolvenzplans. einheitliches Insolvenzereignis. keine Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit. richtlinienkonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Anspruch auf Insolvenzgeld besteht grundsätzlich nicht, wenn nach Eintritt des Insolvenzereignisses die Insolvenz bis zum Eintritt eines erneuten Insolvenzereignisses nicht beendet worden ist (Anschluss an BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R = BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R = BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3, vom 27.8.1998 - B 10 AL 7/97 R = SozR 3-4100 § 141e Nr 3 und vom 11.1.1989 - 10 RAr 7/87 = SozR 4100 § 141b Nr 43).

2. Das erste und das zweite Insolvenzereignis stellen ein einheitliches Insolvenzereignis dar, wenn das zweite Insolvenzereignis während des überwachten Insolvenzplans eintritt (Anschluss an BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R aaO). Es handelt sich insoweit um ein Gesamtverfahren im Sinne der Richtlinie 2002/74/EG (juris: EGRL 74/2002).

3. Das erste und das zweite Insolvenzereignis stellen kein einheitliches Insolvenzereignis dar, wenn zwischen dem ersten und dem zweiten Insolvenzereignis ein überwachter Insolvenzplan durchgeführt und ordnungsgemäß beendet wurde. In diesem Fall begründet das erneute Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber während bzw nach dem Ende des ersten Insolvenzverfahrens wirtschaftlich betrachtet nicht wieder zahlungsfähig geworden ist. Diese formelle Betrachtungsweise ist durch die richtlinienkonforme Auslegung des § 183 SGB 3 im Lichte der Richtlinie 2002/74/EG geboten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.12.2012; Aktenzeichen B 11 AL 10/11 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14. November 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 09. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2004 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Februar 2003 bis 24. April 2003 entsprechend der Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 01.02.2003 bis 24.04.2003.

Das erste Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vereins für Bewegungsspiele L… e.V. (im Folgenden: der Arbeitgeber) wurde am 01.01.2000, 08.00 Uhr, durch Beschluss des Amtsgerichts Leipzig (AG) vom selben Tage eröffnet (93 IN 1636/99). Zum Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt Dr. A… bestellt. Der vom Insolvenzverwalter Dr. A… vorgelegte Insolvenzplan, der den Erhalt des Arbeitgebers gewährleisten sollte (wegen des Inhalts wird auf Blatt 80 bis 113 der Akte des Landessozialgerichts [LSG] verweisen), wurde mit Beschluss des AG vom 20.04.2000 gerichtlich bestätigt und die Überwachung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter Dr. A… für die Dauer von zwei Jahren ab rechtskräftiger Bestätigung angeordnet. Mit Beschluss vom 01.12.2000 wurde nach Rechtskraft des Insolvenzplans und der Prüfung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters das Insolvenzverfahren eingestellt. Zugleich wurde in dem Beschluss vom 01.12.2000 nach § 260 Insolvenzordnung (InsO) die Überwachung des Insolvenzplans für die Dauer von zwei Jahren ab rechtskräftiger Aufhebung des Insolvenzverfahren (Rechtskraftvermerk vom 25.01.2001) unter Übertragung dieser Aufgabe auf den bisherigen Insolvenzverwalter angeordnet. Die Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplanes wurde mit Beschluss des AG vom 05.12.2002 wegen des Endes der Überwachungszeit per 30.11.2002 aufgehoben (Rechtskraftvermerk vom 15.01.2003). Nach § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO betrage die maximale Dauer der Überwachung drei Jahre ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Im rechtskräftigen Insolvenzplan vom 17.04.2000 sei die Dauer der Überwachung durch die Gläubiger aber auf zwei Jahre ab Verfahrensaufhebung begrenzt worden. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei am 01.12.2000 erfolgt. Danach sei die Überwachung der Planerfüllung per 30.11.2002 durch Zeitablauf beendet. Derzeit sei auch kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens anhängig, so dass die Überwachung auch nicht aus diesem Grund habe verlängert werden müssen. Mit Schreiben vom 09.12.2002 bestätigte der bisherige Insolvenzverwalter, dass ihm als einzige fällige, noch nicht erfüllte Insolvenzforderung die des Herrn M… M… bekannt sei. Er habe aber keine Bedenken, dass die Überwachung durch Zeitablauf per 30.11.2002 beendet sei.

Der Arbeitgeber beantragte durch seinen Schatzmeister M… am 03.12.2003 beim AG wegen Zahlungsunfähigkeit die erneute Eröffnung des Insolvenzverfahrens (401 IN 2632/03). Mit Beschluss vom selben Tage wurde Rechtsanwalt St…, der spätere Insolvenzverwalte...

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