Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Fahrkostenerstattungen des Arbeitgebers für betrieblich veranlasste Fahrten mit dem eigenen Pkw. Erwerbseinkommen. Absetzung der mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Fahrkostenerstattung, die ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber für betrieblich veranlasste Fahrten mit seinem eigenen Pkw erhält, handelt es sich um eine Einnahme im Sinne von § 11 Abs 1 S 1 SGB II aus einer gegenüber dem Erwerbseinkommen eigenständigen Einkommensquelle. Denn die erzielten Einnahmen sind eine Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung seines privaten Kraftfahrzeuges an seinen Arbeitgeber.

 

Orientierungssatz

Erfolgt eine Fahrkostenerstattung nur für gelegentliche oder zeitlich geringfügige betriebliche Fahrten, ist es sachgerecht, die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben zur Aufrechterhaltung der Fahrtauglichkeit des Pkw nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 5 SGB 2 über einen längeren Zeitraum heranzuziehen und den sich ergebenden Aufwand mit einem Durchschnittswert für jeden gefahrenen Kilometer zu ermitteln oder hilfsweise zu schätzen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 30.11.2021; Aktenzeichen B 14 AS 41/20 R)

BSG (Urteil vom 11.11.2021; Aktenzeichen B 14 AS 41/20 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. Januar 2018 aufgehoben.

Die vier Bescheide des Beklagten vom 13. Dezember 2016 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 9. März 2017 werden insoweit aufgehoben, als dass die Fahrkostenerstattungen durch den Arbeitgeber dem Kläger als Einkommen angerechnet werden, und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen ohne Fahrkostenerstattung durch den Arbeitgeber als Einkommen zu gewähren.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 18. Januar 2018, durch welches seine Klage gerichtet auf die Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 30. September 2016 abgewiesen wurde. Im Streit steht die Anrechnung von Fahrkostenerstattungen, die der Kläger von seiner Arbeitgeberin für betrieblich veranlasste Fahrten mit seinem eigenen Pkw erhalten hat, als Erwerbseinkommen.

Der 1967 geborene, alleinstehende Kläger ist beim Y.... Dienste für Generationen gGmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) als Mitarbeiter des Begleitdienstes im Fahrdienst mit schwankendem Einkommen beschäftigt und bezieht hierzu ergänzend vom Beklagten seit längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Das Erwerbseinkommen floss ihm jeweils im laufenden Monat zu. Für betriebliche Fahrten mit seinem eigenen Pkw (Ford Fiesta IV‚96, 5-türig, 1,25 l, 16V, 55 KW/75 PS, Erstzulassung am 24. November 1998) erstattete ihm seine Arbeitgeberin aufgrund einer mündlichen Abrede einen Betrag in Höhe von 0,30 EUR für jeden mit dem Privatfahrzeug gefahrenen Kilometer. Es handelte sich hierbei ausschließlich um Fahrten, die der Kläger während seiner Arbeitszeit durchführte, um von einer Betriebstätte oder einem Einsatzort zu einem anderen Einsatzort zu gelangen, was in der Regel vorab durch die Dienstpläne seiner Arbeitgeberin festgelegt war. Die Arbeitgeberin erstellte monatliche Abrechnungen für die Dienstfahrten, die für jede Fahrt den Grund, das Datum, den Abfahrts- und Zielort, das Kennzeichen des genutzten Fahrzeuges, den Kilometerstand, die Anzahl der gefahrenen Kilometer, die gefahrenen Gesamtkilometer und die sich hieraus ergebende Erstattung auswiesen. Die im streitbefangenen Zeitraum erfolgte Fahrkostenerstattung wurde in den monatlichen Gehaltsabrechnungen als nicht sozialversicherungspflichtig und steuerfrei (brutto = netto) ausgewiesen.

Nach vorangegangenen vorläufigen Leistungsbewilligungen erließ der Beklagte unter dem 13. Dezember 2016 zwei Bescheide mit endgültigen Bewilligungsentscheidungen. Mit dem einen Bescheid bewilligte er die dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 16. März 2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 18. März 2015, 10. Juli 2015 und 29. November 2015 für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 31. August 2015 und vom 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015 in Höhe von monatlich 343,69 EUR, für die Zeit vom 1. September 2015 bis zum 30. September 2015 in Höhe von 133,97 EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 31. März 2016 in Höhe von monatlich 349,19 EUR vorläufig zuerkannten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. April 2015 bis zum 31. März 2016 endgültig. Mit dem anderen Bescheid machte er die Erstattung von Leistungen in Höhe von insgesamt 498,82 EUR geltend. Der Beklagte rechnete das Kilometergeld, welches der Kläger von seiner ...

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