Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung. Anordnungsgrund. Maßgeblicher Zeitpunkt

 

Leitsatz (amtlich)

1. In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (LSG Chemnitz vom 6.2.2008 - L 2 B 601/07 AS-ER und LSG Berlin-Potsdam vom 4.1.2008 - L 28 B 2130/07 AS-ER).

Sofern Leistungen - wie vorliegend - für einen zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund nur dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer unzumutbarer Nachteil besteht, der glaubhaft gemacht wird (LSG Chemnitz vom 6.2.2008, aaO; LSG Berlin-Potsdam vom 12.04.2006 - L 10 B 136/06 AS-ER).

Ein fortbestehender schwerer unzumutbarer Nachteil ist gegeben, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, dh wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit auch in die Zukunft fortwirkt und noch eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (OVG Bautzen vom 19.8.1993 - 2 S 183/93 und OVG Münster vom 6.5.1980 - 8 B 1376/79). Dies kann gegeben sein, wenn der Ast zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht (LSG Chemnitz vom 21.1.2008 - L 2 B 621/07 AS-ER und Sächsisches OVG, aaO; OVG Münster, aaO). Es ist ferner denkbar, dass im streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommene Einsparungen nachwirken (OVG Münster, aaO; OVG Bautzen aaO), beispielsweise, wenn die Verweigerung der (darlehensweisen) Bewilligung von Kosten der Schülerbeförderung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum gegenwärtigen Ausschluss des betroffenen Kindes von der Schülerbeförderung führt (LSG Chemnitz vom 6.2.2008 - L 2 B 601/07 AS-ER).

2. Die Frage, ob bezüglich des Vorliegens eines Anordnungsgrundes auf einen anderen Zeitpunkt (zB Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung) dann abzustellen ist, wenn die erste Instanz in nicht zu beanstandender Weise die begehrte einstweilige Anordnung nach Bejahung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund erlassen hat (vgl die Diskussion zu dieser Frage: OVG Münster, aaO; OVG Bautzen aaO), muss vorliegend nicht entschieden werden, weil das SG im hier anhängigen Verfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat und zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (6.12.2007) angesichts des am 19.11.2007 auf den Konto des Ast eingegangenen Kindergeldes in Höhe von 154,00 € und der am 20.11.2008 auf seinem Konto gutgeschriebenen 605,08 € Nachzahlung der Ag ebenfalls kein Anordnungsgrund gegeben war.

 

Normenkette

SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 6.12.2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 20.07.2007 bis 31.12.2007.

Der 1985 geborene erwerbsfähige Antragsteller (Ast.) lebt zusammen mit seiner Mutter in einer Dreizimmerwohnung in der R.straße 52 in D.. Von den 68,82 m² Gesamtfläche der Wohnung sind ihm 28,06 m² im Wege der Untervermietung vermietet. Hierfür zahlt der Ast. monatlich eine Gesamtmiete von 187,85 €. Er absolvierte in den Jahren 2002 bis 2004 eine Ausbildung zum Wirtschaftsassistenten für Informationsverarbeitung. Hieran schloss sich bis März 2005 eine Zeit der Arbeitslosigkeit an, bevor er bis Dezember 2005 seinen Zivildienst leistete. Von September 2006 bis Juli 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Berufsschulzentrum R.. Ihm wurde hierfür eine Berufsausbildungsförderung in Höhe von 269,00 €/Monat bewilligt.

Die Antragsgegnerin (Ag.) nahm mit Bescheid vom 04.09.2006 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die aus dem Ast. und seiner Mutter bestehende Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 in Höhe von monatlich 3,79 € vor. Dabei wurde dem Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1.004,95 € das bereinigte Nettoeinkommen der Mutter des Ast. zuzüglich des Kindergeldes, das diese an den Ast. weiterleitete, gegengerechnet. Es ergab sich ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen von 1.001,16 €.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Ast. vom 26.09.2006. Seine Mutter sei weder finanziell in der Lage noch willens, ihn in der von der Ag. unterstellten Weise zu unterstützen und seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Er habe keinen entsprechenden Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter. Da er volljährig sei, die allgemeine Schulbildung und die Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen habe sowie 21 Jahre alt sei, seien seine Mutter b...

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