Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Finanzierungsanteil des Arbeitnehmers an der Altersversorgung. Tarifliche Verweisung auf andere Tarifnormen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang.

2. Die Formulierung, dass die Beschäftigten "Anspruch auf Versicherung unter eigener Beteiligung" haben, zeigt, dass die Tarifvertragsparteien den Willen hatten, die Beschäftigten durch eigene Beitragsleistungen an der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu beteiligen.

3. Von der Rechtssetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien umfasst ist grundsätzlich das Recht, auf jeweils geltende andere tarifliche Vorschriften zu verweisen, sofern deren Geltungsbereich mit dem Geltungsbereich der verweisenden Tarifnorm in einem engen sachlichen Zusammenhang steht.

 

Normenkette

TVG § 1; BetrAVG § 1; BGB § 362 Abs. 2; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; ATV/IKK § 3 Abs. 1 (Fassung: 2002-12-13), Abs. 2 (Fassung: 2002-12-13); VBL-Satzung §§ 63-64

 

Verfahrensgang

ArbG Zwickau (Entscheidung vom 14.06.2018; Aktenzeichen 1 Ca 1641/17 P)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.01.2020; Aktenzeichen 3 AZR 225/19)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 14.06.2018 - 1 Ca 1641/17 P - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte von der Nettovergütung des Klägers einen Eigenanteil am Beitrag zum Kapitaldeckungsverfahren zur betrieblichen Altersversorgung einbehalten und an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) abführen darf.

Die Beklagte, eine bundesunmittelbare rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, ist eine Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung mit Sitz in ...

Unter dem 13.12.2002 unterzeichneten der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK-Bundesverband), dessen Mitglied die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt war, und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) bzw. die Gewerkschaft der Sozialversicherung (GdS) inhaltsgleiche Tarifverträge über die betriebliche Altersversorgung bei den Innungskrankenkassen und ihren Verbänden (ATV/IKK in den Anlagen 1 und 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.02.2018; Bl. 72 ff. und Bl. 78 ff. d. A.). Gemäß § 212 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der ab dem 01.01.2009 geltenden Fassung wurde der IKK-Bundesverband kraft Gesetzes in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) umgewandelt, deren Gesellschafter die am 31.12.2008 vorhandenen Mitglieder des IKK-Bundesverbandes wurden. Die GbR befindet sich derzeit in Liquidation.

Die zum 01.01.2001 in Kraft getretenen ATV/IKK haben u. a. Folgenden Inhalt:

§ 1

Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für Beschäftigte, die unter den

a) IKK-TV,

b) MTV/IKK Arbeiter,

c) MTV-Auszubildende/IKK

fallen und deren Arbeitgeber Beteiligter bei der VBL ist.

§ 2

Versorgungsanspruch

(1) Die Beschäftigten haben Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung.

(2) Inhalt und Umfang der Versorgungsleistungen folgen der Satzung der VBL in der jeweils gültigen Fassung.

§ 3

Finanzierung

(1) Die Finanzierung durch den Arbeitgeber richtet sich nach den Vorgaben der VBL- Satzung in der jeweils gültigen Fassung.

(2) Der Umlageanteil der Arbeitnehmer im Abrechnungsverband West beträgt ab 01. Januar 2002 1,33%, ab 01.Januar 2003 1,41 %.

(3) Der Arbeitgeber hat die auf ihn entfallende Umlage bis zu einem Betrag von 146,00 € pauschal zu versteuern, solange die Pauschalversteuerung rechtlich möglich ist.

(4) (...)

Unter dem 30.11.2016 wurde im Namen der IKK ... und ..., der IKK gesund plus, der IKK Südwest, der Beklagten und der GdS der Änderungstarifvertrag zum Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung bei den Innungskrankenkassen und ihren Verbänden (ATV/IKK) unterzeichnet. Dieser hat folgenden Inhalt (vgl. Anlage 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.02.2018; Bl. 75 ff. d. A.):

§

Änderung des ATV/IKK

Der ATV/IKK für die Beschäftigten der IKK ... und ..., der IKK classic, der IKK gesund

plus und der IKK Südwest wird wie folgt geändert.

1. § 3 Absatz 1 erhält folgende Fassung:

"Die Finanzierung durch den Arbeitgeber und die Beschäftigten richtet sich nach den Vorgaben der VBL-Satzung in der jeweils gültigen Fassung."

2. § 3 Absatz 2 wird wie folgt geändert:

Für die Beschäftigten im Abrechnungsverband Ost betragen die Beiträge zur Kapitaldeckung der Beschäftigten abweichend von Abs. 1 für den Zeitraum vom...

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