Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungsverbot nach § 20a IfSG bei fehlendem Impf- oder Genesenennachweis. Zielsetzung des einstweiligen Rechtsschutzes. Keine einstweilige Verfügung bei Streit über eine gesetzliche Regelung. Zulässigkeit einer Befriedungs- oder Leistungsverfügung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Personen, die bereits bis zum Ablauf des 15.03.2022 in einer Pflegeeinrichtung tätig waren und die über keinen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Abs. 1 IfSG verfügen und bei denen keine Kontraindikation besteht, dürfen ab dem 16.03.2022 kraft Gesetzes nicht mehr in der Pflegeeinrichtung tätig werden.

2. Die Gerichte sind gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen. Eine Befriedigungs-/Leistungsverfügung kann demnach insbesondere dann zulässig sein, wenn sie die einzige wirksame Möglichkeit ist, das Recht des Gläubigers durchzusetzen bzw. den Gläubiger vor Rechtsvereitelung zu schützen.

3. Ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht geeignet, einen Streit über Inhalt, Wirksamkeit und Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung abschließend zu beurteilen.

4. Entscheidend für die Zulässigkeit einer Befriedigungs- oder Leistungsverfügung ist auch in den Fällen der Dringlichkeit wegen der Gefahr eines irreversiblen Rechtsverlustes eine am Gebot der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes ausgerichtete prozessrechtliche Abwägung der Interessen beider Parteien im jeweils gegebenen Einzelfall. Dabei kommt es mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes in erster Linie auf den voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens an. Darüber hinaus kommt es unter Umständen darauf an, für welche Partei der irreversible Rechtsverlust schwerer wiegt.

 

Normenkette

ZPO § 940; IfSG § 20a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 22a Abs. 1, § 20a Abs. 5 S. 3; BGB § 611a Abs. 1; GG Art. 100; BDSG § 26 Abs. 3 S. 1; ZPO § 308 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Entscheidung vom 29.03.2022; Aktenzeichen 9 Ga 10/22)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 29.03.2022 - 9 Ga 10/22 - abgeändert und der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Verfügungsklägerin zu tragen.&7623 Eines Tatbestandes bedarf es gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 ArbGG, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht, da wegen § 72 Abs. 4 ArbGG ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist.

 

Tatbestand

Eines Tatbestandes bedarf es gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 ArbGG, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht, da wegen § 72 Abs. 4 ArbGG ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist.

 

Entscheidungsgründe

I.

Auf die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie ausgeführte Berufung der Verfügungsbeklagten ist das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 29.03.2022 - 9 Ga 10/22 - abzuändern und der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzulehnen. Die Berufung der Verfügungsbeklagten ist begründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Unrecht entsprochen. Die Verfügungsklägerin hat derzeit keinen Anspruch auf die begehrte Beschäftigung.

1. Nach § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind von der Antragstellerin/Verfügungsklägerin gemäß §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen. Maßgeblich sind die Umstände im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

2. Die Klägerin hat derzeit bereits keinen (Verfügungs-)Anspruch auf die begehrte Beschäftigung. Die Verfügungsklägerin kann aufgrund der Regelung des § 20a Abs. 1 und Abs. 2 IfSG derzeit überhaupt keine Beschäftigung zu unveränderten Bedingungen als Pflegefachkraft und Qualitätsmanagerin in der Betriebsstätte Seniorenresidenz "M. a. d. E.", ..., beanspruchen kann, da ihr die Leistung dieser Tätigkeit in der genannten Einrichtung der Verfügungsbeklagten bis zum 31.12.2022 kraft Gesetzes untersagt ist.

a) Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG müssen Personen, die - wie die Verfügungsklägerin - in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind, ab dem 15.03.2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Absatz 1 IfSG...

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