Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzlicher Urlaubsanspruch einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin bei Unterschreitung des gesetzlichen Mindesturlaubs aufgrund tarifvertraglicher Regelung zum Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 26 Abs. 2 Buchst. b TV-L enthält eine vom Wortlaut her eindeutige Regelung ("beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, steht als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Abs. 1 zu"); Unklarheiten können allein durch den zweiten Halbsatz entstehen ("§ 5 Bundesurlaubsgesetz bleibt unberührt").

2. Neben § 26 Abs. 2 Buchst. b kommt nur § 5 Abs. 2 und 3 BUrlG zur Anwendung.

3. Aus dem Eingangssatz des § 26 Abs. 2 TV-L ("im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben") ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien keine uneingeschränkte Anwendung des Bundesurlaubsgesetzes auf die tariflichen Urlaubsansprüche gewollt haben sondern nur unter Berücksichtigung der in § 26 Abs. 2 TV-L genannten Maßgaben; würde § 26 Abs. 2 Buchst. b Hs. 2 TV-L eine vollständige Anwendung des § 5 BUrlG bezwecken, hätte es der Regelung unter der § 26 Abs. 2 Buchst. b nicht bedurft, denn sie enthielte dann keine vom Bundesurlaubsgesetz abweichende "Maßgabe".

4. Unter Berücksichtigung des § 13 Abs. 1 BUrlG darf im Falle des Ausscheidens in der zweiten Jahreshälfte der gesetzliche Mindesturlaub des § 3 Abs. 1 BUrlG nicht unterschritten werden, da dieser nicht tarifdispositiv ist; durch eine tarifliche Regelung kann der gesetzliche Urlaubsanspruch einer Arbeitnehmerin, die nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, nicht ausgeschlossen oder gemindert werden, wobei auch eine Zwölftelung dieses Anspruchs nicht wirksam ist.

5. Neben den Zusatzurlaubsansprüchen nach § 125 SGB IX besteht lediglich ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub; ein Nebeneinander von gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen besteht nicht, so dass der Arbeitgeber auch nur die entstandenen gesetzlichen Urlaubsansprüche erfüllen oder abgelten kann und es einer ausdrücklichen Leistungsbestimmung insoweit nicht bedarf.

6. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG kann in Tarifverträgen mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG nicht (zu Ungunsten) von den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen werden; entsprechend § 134 BGB sind tarifliche Regeln, die gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verstoßen, nichtig mit der Folge, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regeln treten.

7. Führt die tarifliche Regelung gemäß § 26 Abs. 2 Buchst b TV-L zu einer Unterschreitung des gesetzlichen Mindesturlaubs, findet die tarifliche Regelung keine Anwendung.

 

Normenkette

BUrlG § 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 125; TV-L § 26 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Buchst. b

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Entscheidung vom 10.06.2015; Aktenzeichen 10 Ca 337/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.08.2016; Aktenzeichen 9 AZR 51/16)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 10.06.2015 - 10 Ca 337/15 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anzahl der vom Beklagten wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugeltenden Urlaubstage.

Die schwerbehinderte Klägerin schied mit Ablauf des ...2014 wegen des Bezuges von Altersrente aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten aus, auf das kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der TV-L Anwendung fand. Für das Jahr 2014 gewährte der Beklagte der Klägerin 23 Urlaubstage. Für zwei weitere Urlaubstage zahlte der Beklagte der Klägerin Urlaubsabgeltung in Gesamthöhe von 359,96 € brutto. Mit Schreiben vom 12.08.2014 machte die Klägerin erfolglos die Abgeltung von weiteren zehn Urlaubstagen geltend.

Mit ihrer vor dem Arbeitsgericht Dresden erhobenen Klage hat die Klägerin ihre Forderung weiter verfolgt. Sie hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei zur Abgeltung von zehn weiteren Urlaubstagen verpflichtet, da sie in der zweiten Jahreshälfte ausgeschieden sei und deshalb den vollen tariflichen Urlaubsanspruch erworben habe. Insoweit sei § 5 BUrlG anzuwenden, wie sich aus § 26 Abs. 2 lit. b) TV-L ergebe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.799,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem 13.08.2014 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ansicht vertreten, die Klägerin könne keine weitere Urlaubsabgeltung beanspruchen. Der tarifliche Urlaub sei gemäß § 26 Abs. 2 lit. b) TV-L bei unterjähriger Beschäftigung zu quoteln. Allerdings dürfe bei einem Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte - wie hier - der gesetzliche Mindesturlaub von 20 Tagen nicht unterschritten werden. Dies sei im Falle der Klägerin beachtet worden. Deren Urlaubsanspruch habe sich im Zeitpunkt ihres Ausscheidens auf zwanzig Urlaubstage zuzüglich...

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